Luana und die namenlose Krankheit
Stellen Sie sich vor, Ihr Kind hat eine Krankheit und niemand weiss genau, woran es leidet.

«Luana braucht immer ein bisschen Zeit, bis sie sich an etwas Neues gewöhnt hat», erklärt die Mutter Stefanie. Luana will sich nicht offensichtlich freuen, als ihr der Reporter zur Begrüssung einen Tobi Plüsch-Biber entgegenstreckt. Doch Luana «fremdet» nicht wie andere Kleinkinder. Sie lebt in ihrer eigenen Welt – mit einer eigenen Krankheit.
Namenlose Krankheit
«Es war eine schöne Geburt ohne Komplikationen. Die ersten Wochen und Monate verliefen ganz normal.» Doch der kleine Wonneproppen nahm einfach nicht richtig an Gewicht zu. Dann der Schock: «Die Ärzte stellten fest, dass Luana einen schweren globalen Entwicklungsrückstand, zerebrale Bewegungsstörungen, proportionierter Kleinwuchs und ein schweres Augenleiden hat», erinnert sich die Mutter.
Viele Symptome, doch die Krankheit von Luana wurde bisher nicht abgeklärt. Es könnte sein, dass trotz Untersuchungen nichts gefunden wird oder es eine Variante einer Krankheit ist, die bisher nicht bekannt war. «Bis zum heutigen Zeitpunkt wissen wir weder was sie hat, noch wie selten die Krankheit ist.» Und so geht es ganz vielen anderen Kindern auch.
Auch sei sie sich nicht sicher, ob Luana wisse, dass sie die Mutter sei. «Wenn ich sie in die Krippe bringe, weint sie nie wie andere Kinder, wenn die Eltern diese verlassen. Das tut manchmal schon weh», gesteht sie. Sie freue sich aber auf den Tag – der irgendwann kommen wird – wenn Luana sie Mama rufen wird. Vater Claudio pflichtet bei. Der Flugzeugmechaniker ist aber auch so glücklich mit seiner Tochter. «Sie gibt mir so viel, sie ist ein Geschenk.»
Familienalltag
Zum Glück wohnen die Grosseltern nicht weit entfernt und unterstützen die junge Familie nach Kräften. Dreimal die Woche besucht Luana die Tageskrippe. «Die andern Kinder haben sie sehr gerne. Sie wissen, dass mit Luana etwas nicht stimmt, aber das ist kein Problem», erzählt Stefanie. Wenn sie die Kleine jeweils in die Krippe bringe, sei sie überzeugt, dass Luana wisse, dass es jetzt in die Krippe gehe. «Dann wippt sie ganz aufgeregt auf meinen Armen und brabbelt vergnügt vor sich hin.»
Doch wie schlimm ist es, wenn man nicht genau weiss, woran das eigene Kind leidet? «Sehr schlimm», antworten die Eltern unisono. Nicht zuletzt wegen der Familienplanung. Um exakt festzustellen, ob Luanas Krankheit ein genetischer Defekt zugrunde liegt, bräuchte es eine DNA-Analyse. Doch die kostet einige tausend Franken. Und diesen Betrag wollen weder die IV noch die Krankenkasse bezahlen, da dies keine unmittelbare Verbesserung von Luanas Situation zur Folge hätte. «Wir wollen nicht klagen», sagt Stefanie. Sie würde trotz des Risikos gerne weitere Kinder haben. «Das kommt für mich momentan weniger infrage», entgegnet Vater Claudio. So bleiben sie denn vorerst zu dritt und Luana ein Einzelkind mit vielen Freunden.
«Das Schwierigste für uns ist zurzeit die Kommunikation mit unserem Kind. Luana hat nicht für alles Gebärden zur Hand», erklärt Claudio. Oft entstehe auf beiden Seiten eine Ohnmacht und ein Frustgefühl, wenn die Worte fehlen. «Ich muss mir als Mutter die Gebärden selber beibringen und gebe diese dann an die ganze Familie weiter», ergänzt Stefanie.
Luana ist jetzt zweieinhalb Jahre alt, doch sie ist auf dem Entwicklungsstandeines acht Monate alten Babys. Sie kann nicht alleine spielen, braucht Windeln, und niemand weiss, wie lange sie diese noch benötigt. Bis vor Kurzem konnte sie noch keine feste Nahrung zu sich nehmen. Tägliche Belastungen für beide Elternteile, die viel Zeit beanspruchen, welche dann andernorts fehlt. «Luana ist so ein fröhliches Kind, sie gibt alles zurück», sagt die Mutter. Sie ist aber sehr froh, dass sie auch auf die Hilfe von Nachbarn zählen kann.
Bestmögliche Förderung
«Als Eltern von einem Kind mit einer sehr seltenen Krankheit mussten wir sehr viel Aufwand betreiben, um an deutschsprachige Informationen heranzukommen», erzählt Claudio. Nach einer Phase, in der es hauptsächlich darum ging, Luanas gesundheitliche Probleme zu behandeln, machten sich die Eltern Gedanken, wie ihre geistige und körperliche Entwicklung bestmöglich gefördert werden kann.
Luana geht in die Physiotherapie, Logopädie, in den Schwimmunterricht und besuchte schon früh ein Augen-Trainingsprogramm. Schon als Kleinkind musste ihr operativ eine künstliche Linse eingesetzt werden. Derzeit muss Luana alle sechs Monate zu einem ärztlichen Check. Und dann und wann zu einem Fussballspiel. GC-Fan Claudio: «Ich nehme sie einfach mit, wenn ich mit Freunden an den Match gehe.»
Doch egal wie normal die Eltern mit ihrer Tochter umgehen, Luanas Krankheit hatte schon Auswirkungen auf den Freundeskreis. Einige Kontakte sind verloren gegangen, andere wiederum sind intensiver geworden. «Wir benötigen manchmal Hilfe, aber kein Mitleid», umschreibt Stefanie. Claudio ergänzt: «Manchmal können wir aber auch über die ganze Situation lachen.» Und die beiden sind sich einig: Wenn die Eltern fröhlich sind, ist es das Kind auch.
«Unsere Tochter hat besondere Bedürfnisse», sagt die Mutter und fügt an: «Für mich trägt sie ganz klar autistische Züge.» Mit einem eigenen Charakter und einer Persönlichkeit, die nur ergründen könne, wer das Tor zu Luanas Welt öffnen könne. Sozusagen auf der Suche nach dem Schlüssel zu diesem Tor flog die Familie nach Israel.
First-Step-Methode
Dort arbeiteten spezialisierte Therapeuten sechs Stunden am Tag nach der sogenannten First-Step-Methode mit Luana. Während der Zeit in Tel Aviv durften die Eltern beobachten, wie Luana von sich aus immer aktiver wurde.
Ein erstes grosses Etappenziel war, Luana das Krabbeln zu lernen. Sie ziehe das rechte Bein zwar immer noch ein bisschen nach, aber es wird besser. Die Eltern hoffen, dass ein Kind, welches lernt sich auf allen Vieren fortzubewegen, auch laufen lernen wird. Das dürfte im Moment wohl auch der grösste Wunsch von Luana sein.
Das Mädchen hat nämlich wirklich Bewegungsdrang. Und Hunger hatte Luana auch schon vor der First-Step-Methode. Seit der einwöchigen Therapie dort kann sie jetzt aber selbstständig kauen und schlucken. Nun gilt es für sie, das Gelernte umzusetzen und die tägliche Routine so umzugestalten, dass Luana auch in ihrem häuslichen Umfeld noch besser gefördert werden kann.
Tobi, der Plüsch-Biber, hat es jedenfalls geschafft: Er kommt Luana immer näher. Sie knuddelt und herzt Tobi wie einen alten Spielkameraden. Sie braucht halt einfach ein bisschen mehr Zeit. Und die geben ihr ihre Eltern gerne.
Weitere Informationen
Förderverein für Kinder mit seltenen Krankheiten: www.kmsk.ch