Laras Kampf fürs Leben
Die zweijährige Lara ist seit Geburt geplagt von Arzt- und Spitalbesuchen und leidet unter einer seltenen Krankheit. Fehlt wie bei ihr eine klare Diagnose, stellt dies Betroffene ebenso wie Angehörige auf eine harte Gedulds- und Belastungsprobe.

Wer die kleine Lara mit ihrer grossen fünfjährigen Schwester Mia im Wohnzimmer der Familie Wyden in der Nähe von Zürich laut lachend herumtollen sieht, bemerkt kaum, welche Kranken- und Spitalgeschichte die Kleine bereits hinter sich hat und dass sie seit Geburt unter einer seltenen Krankheit leidet. Auf den ersten Blick scheint alles normal.
Zutraulich und offen begrüsst die Kleine die fremden Besucher, nimmt sie an der Hand und führt sie zu ihrem rosaroten Kindersofa, krabbelt akrobatisch auf ihren Tripp Trapp und zeigt stolz auf ihr Spielzeug.
Kaum jemand käme bei diesen Szenen auf die Idee, dass Lara seit ihrer Geburt geplagt ist von Arzt- und Spitalbesuchen und sich die Zweijährige mit bemerkenswertem Mut und grosser Tapferkeit durch ihr noch junges Leben kämpft. Ihre Mutter Bettina Wyden weiss: «Sie ist eine wirkliche Kämpferin.» Ohne dabei zu erwähnen, dass dieses Prädikat für die 31-jährige Mutter selber auch gilt.
Herzgeräusche
Doch alles der Reihe nach. Bei ihrer termingerechten Geburt war Lara zwar mit ihren 43 Zentimetern um einiges zu klein und mit lediglich 2450 Gramm auch um einiges zu leicht. Doch abgesehen davon, schien zunächst alles gut. Als jedoch beim Austrittsgespräch bei Lara Herzgeräusche zu hören waren und sie deshalb an einen Kardiologen zur Untersuchung weitergeleitet wurde, verunsicherte dies die noch jungen Eltern Marco (30) und Bettina (31) Wyden sehr.
Kurz danach erhielten sie den Bescheid, dass Lara zwei kleine Löcher im Herzen hat. «Der Schock war natürlich riesig», erzählt Bettina Wyden. Die folgenden sechs Monate waren geprägt von regelmässigen Kontrollen, von Hoffen und Bangen. «Dann haben wir zum Glück zusammen mit der Kardiologin relativ schnell gemerkt, dass Lara mit dem Herzfehler gut leben kann, dass sie keine Medikamente nehmen muss und auch keine Operation nötig ist.»
Shwachman-Diamond- und Coffin-Siris-Syndrom
Das Shwachman-Bodian-Diamond-Syndrom (SBDS) ist eine seltene angeborene Erkrankung, welche durch eine mangelnde Bildung von Verdauungsenzymen in der Bauchspeicheldrüse, Störungen der Funktion des Knochenmarks mit einer Neigung zur Entwicklung einer Leukämie, Skelettfehlbildungen und Minderwuchs gekennzeichnet ist.
Auch das Coffin-Siris-Syndrom ist eine sehr seltene angeborene Erkrankung. Ihre Hauptmerkmale sind die genetisch bedingte Unterentwicklung eines Organismus, Organsystems, Organs, Organteils oder Gewebes, bei diesem Syndrom insbesondere der Finger- und Zehenknochen und der Nägel, einhergehend mit Minderwuchs und Intelligenzminderung. Die Bezeichnung bezieht sich auf die Autoren der Erstbeschreibung aus dem Jahr 1970 durch den US-amerikanischen Pädiater Grange S. Coffin und die Radiologin Evelyn Siris.
Vorzeitiger Nahtverschluss
Die Freude für die junge Familie und natürlich für Lara selber über den doch sehr beruhigenden Befund währte nicht lange. Kaum eine Woche später erkannte der Kinderarzt, dass bei Laras Kopf etwas nicht stimmte. Untersuchungen bei einem Neurologen im Kinderspital Zürich zeigten daraufhin, dass bei Lara ein vorzeitiger Nahtverschluss am Schädel vorlag. Und schnell war klar: Die Naht muss operativ geöffnet werden, damit das Hirn wieder genug Platz hat zum Wachsen. Doch bis die Operation dann vorgenommen werden konnte – Lara war damals gerade mal neun Monate alt –, verzögerte sich das Ganze um Wochen.
Rückblickend gesehen dauerte dies für Bettina Wyden viel zu lang, wusste sie doch aus der Fachliteratur, je früher eine solche Operation vorgenommen wird, desto grössere Erfolgschancen bestehen. «An diesem Punkt», erinnert sich Bettina Wyden, «habe ich zum ersten Mal gemerkt, dass man sich aktiv für sein Kind einsetzen muss.»
Geordnetes Familienleben in weiter Ferne
Im September 2015 schliesslich begannen dann die anderthalb Monate dauernden Untersuchungen, bevor Lara im November 2015 operiert werden konnte. Zehn Tage lang lag sie danach im Spital – und erholte sich gut. «Es ist sehr gut gelaufen», erinnert sich Bettina Wyden. «Lara macht und nimmt das wirklich gut. Sie hatte die Operation sehr gut weggesteckt und konnte sehr schnell von der Intensivstation auf die Normalstation verlegt werden.»
Die Wochen und Monate vor und nach der Operation, vollgepfercht mit Untersuchungen und Abklärungen, gestalteten sich nicht nur für die kleine Lara, sondern auch für die Eltern schwierig. Insbesondere organisatorisch stellten sie eine grosse Herausforderung dar. Schliesslich arbeitete Marco Vollzeit, und auch die fünfjährige Mia hatte Anrecht auf Aufmerksamkeit und Zuwendung.
An ein geordnetes Familienleben war unter diesen Umständen nicht zu denken. Kam hinzu, dass Lara nach der Operation im Spital noch einen Brechvirus einfing, während gleichzeitig Mia zu Hause mit 40 Grad Fieber im Bett lag. Die Familie handelte pragmatisch und entschlossen: Bettina schaute im Spital zu Lara, Marco nahm ein paar Tage frei und kümmerte sich zu Hause um Mia.
Sich auf sein Gefühl verlassen
Dass sich Bettina Wyden weiterhin auf ihr Gefühl verlassen konnte und sich dementsprechend für ihr Kind einsetzen musste, bestätigte sich bald nach der positiv verlaufenen Schädeloperation. «Zwar hiess es, jetzt sei alles gut und das Kind entwickle sich normal. Doch ich merkte bald, dass dem nicht so war. Lara wollte nicht aufsitzen und ich habe festgestellt, dass bei ihr alles verzögert war. Ich hatte bei ihr schon immer das Gefühl, dass einfach etwas nicht stimmte, und meldete meine Bedenken wegen einer verzögerten Entwicklung beim Neurologen sowie beim Professor an, welcher die Operation am Schädel durchgeführt hatte. Doch irgendwie wollte man es dort nicht wirklich hören und man sagte mir, wir sollten jetzt einfach mal warten und beobachten, wie sich das Kind entwickle.» Auch der Kinderarzt riet, angesichts der vorgenommenen Operation mit einer entwicklungspädiatrischen Abklärung noch zuzuwarten.
Verzögerte Entwicklung
«Nach fast einem Jahr wurde ich endlich erhört und Lara konnte entwicklungspädiatrisch abgeklärt werden», erinnert sich Bettina Wyden. Und siehe da: «Die Untersuchungen bestätigten meinen Verdacht, dass Lara in ihrer Entwicklung weit zurückliegt. Gleichzeitig wurde festgestellt, dass Lara nicht gut hört.» Im März dieses Jahres fand daraufhin die ambulante Ohrenoperation statt, während der Lara sogenannte Paukenröhrchen erhielt, welche mögliches Wasser abfliessen lassen sollen.
Parallel dazu hat sich Bettina Wyden dafür eingesetzt, dass man bei Lara einen Gentest vornimmt, da Lara viele Anzeichen zeigt, die auf eine Behinderung schliessen lassen. Sie ist entwicklungsverzögert, hat eine Mikrozephalie, das heisst eine vergleichsweise kleine Kopfgrösse, und den Herzfehler. Nach dem ersten Gen-Gespräch hatten die Spezialisten gleich zwei Verdachte, worauf sie nun testen wollen. Einmal auf das Shwachman-Diamond-Syndrom und einmal auf das Coffin-Siris-Syndrom. Beides sind seltene Gendefekte.
Ungewissheit, Angst, Freude
Für Lara und ihre ganze Familie geht so die Zeit der Unsicherheiten und Ungewissheiten weiter. Wie auch immer der Befund – dieser sollte in ungefähr einem halben Jahr feststehen – ausfallen wird, am meisten Angst bereitet Bettina und Marco Wyden, dass dieser einhergeht mit einer begrenzten Lebenserwartung von Lara. «Alles andere nehmen wir, wie’s kommt», sagt Bettina Wyden und freut sich daran, dass Lara trotz ihrer beschränkten Ausdrucksmöglichkeiten seit kurzem anhand von Piktogrammen, welche ihr Vater für sie angefertigt hat, zeigen kann, was sie gerade machen möchte: essen, baden, wickeln, rausgehen, spielen.
Auch geht sie mittlerweile einmal die Woche für ein paar Stunden in eine Kinderspielgruppe, was nicht nur Lara freut, sondern auch Bettina Wyden zu ein paar etwas ruhigeren Stunden verhilft. Und ja, wenn sie – natürlich neben einem möglichst positiven Befund für Lara – noch einen Wunsch anbringen dürfte, wäre dies folgender: «Manchmal wünsche ich mir eine Stelle, die alles für uns koordiniert und uns durch den Dschungel von Abklärungen, Therapien, Testergebnissen, Krankenkassen, Ärztespezialisten usw. führt – das wäre wahnsinnig hilfreich.»