Blaue Haut, schneller Tod – Spanische Grippe wütete vor 100 Jahren
Sie war schnell, ansteckend, tödlich: Die Spanische Grippe traf die Menschen ab 1918 so hart wie keine andere Pandemie der Moderne. Bis sie die Erde umrundet hatte, dauerte es nur wenige Monate.
Die Menschen starben ihretwegen reihenweise, besonders im Herbst 1918. Es geht nicht um eine Grossmacht im Ersten Weltkrieg, sondern um die Spanische Grippe, an der nach Schätzungen mehr Menschen umkamen als bei den Kampfhandlungen.
Sie entwickelte sich bis 1920 zur schlimmsten Grippe-Pandemie der Geschichte mit 27 bis 50 Millionen, manchen Quellen zufolge sogar bis zu 100 Millionen Toten. Allein in der Schweiz starben fast 25'000 Menschen.
Im Deutschen Reich sollen einer Studie zufolge rund 426'000 Menschen der Grippe zum Opfer gefallen sein – das entspricht einer mittleren Grossstadt. «Bei unserem heutigen Gesundheitssystem wäre das unerträglich, praktisch nicht vorstellbar», sagt die Grippe-Expertin Silke Buda vom Robert Koch-Institut in Berlin.
Drei Wellen
Der Berliner Historiker und Oberarzt der Charité, Wilfried Witte, hat über die Spanische Grippe geforscht. Er sagt, es habe damals alles relativ harmlos begonnen. Während der ersten Ansteckungswelle im Frühjahr 1918 erkrankten zwar sehr viele Menschen, aber relativ wenige starben. Im Herbst nahm jedoch eine weitere, tödliche Welle ihren Lauf.
Auch die Schweiz wurde in drei Wellen getroffen: im Juli 1918, im Oktober-November 1918 und im Dezember-März 1918/19.
Gerade dort, wo Menschen geballt aufeinandertrafen, wie in Rekruten- oder Kriegsgefangenenlagern, steckten sich laut Witte auf einen Schlag zahlreiche Menschen an. «Die meisten sind an einem akuten Lungenversagen gestorben. Das ging rapide schnell vonstatten.»
Therapien wie invasive Beatmung standen Ärzten noch nicht zur Verfügung. Wenn überhaupt hätten Kranke in der Regel Mittel zur Kreislaufstärkung bekommen. «So etwas hat natürlich nicht geholfen», so Witte.
Ursprung unklar
Selbst der spanische König soll an dem damals noch unbekannten Erreger erkrankt sein. Es ist ein Grund, aus dem die Pandemie als «Spanischen Grippe» in die Geschichte einging. Dass sie nicht von dort kam, ist aber relativ sicher.
Um den wahren Ursprung ranken sich mehrere Theorien. Witte zufolge wird angenommen, dass die Grippe im März 1918 zuerst Schüler und Soldaten in Kansas (USA) krank machte. Mit Truppenschiffen soll das Virus auch nach Europa gelangt sein. Die Menschen steckten sich durch winzige Tröpfchen beim Husten oder Niesen an, wohl jeder Ort hatte Opfer zu beklagen.
Blauer Teint
Ärzte sahen bei Infizierten gewisse Muster: Nicht nur starben ungewöhnlich oft vermeintlich robuste Menschen zwischen 20 und 40 Jahren. Auch hatte sich die Haut der Erkrankten oft dunkelblau verfärbt – ein Zeichen der Unterversorgung mit Sauerstoff, wie Witte sagt. Wegen des fast schon schwarzen Teints hätten sich die Menschen an die Pest erinnert gefühlt.
Zeitgenössische Ärzte hielten ein «Grippe-Bakterium» für die Ursache, obwohl man diese Theorie damals schon anzweifelte. Der wahre Auslöser, das Influenza-Virus, sollte später entdeckt werden – 1933.
Inzwischen sehen Wissenschaftler die Spanische Grippe nicht mehr unbedingt als Einzelfall, sondern als Prototyp von Pandemien. Sie kann sich wiederholen – das zeigten etwa die Asiatische Grippe (1957) und die Hongkong-Grippe (1968), wenn auch in geringerem Ausmass.
Machtlose Ärzte
Damals seien die Umstände andere gewesen als heute, betont Buda. Genau die gleiche Situation wie 1918 werde so nicht mehr eintreten. Damals seien die Lebensbedingungen viel schlechter gewesen. Viele Menschen hätten auch zusätzlich schon andere Krankheiten wie Tuberkulose gehabt. Gegen oftmals tödliche bakterielle Lungenentzündungen, die auf die Grippe folgten, waren Ärzte machtlos: Antibiotika gab es noch nicht.
Gleichwohl gebe es heute andere grosse Herausforderungen, sagt Buda. Dazu gehörten zum Beispiel zunehmende Antibiotika-Resistenzen. Zudem könne der globale Reiseverkehr zu einer noch viel schnelleren Virus-Verbreitung weltweit führen als 1918. «Die Menschen werden heute zudem sehr viel älter als früher, haben dann aber oftmals Grunderkrankungen und sind anfälliger für schwere Krankheitsverläufe», sagt sie.
Quelle: SDA