Extreme Bauchkrämpfe, bis zu dreissig Mal Stuhlgang pro Tag und in schubfreien Zeiten die Sorge, dass es jederzeit wieder losgehen kann: Bruno Giardina (40) über den Alltag mit einer chronisch entzündlichen Darmerkrankung.

Bruno Giardina führt in das kleine Sitzungszimmer seines Arbeitgebers, einer Druckerei im schwyzerischen Lachen. «Ich sage es jeweils vorweg», sagt er, als er sitzt. Es könne sein, dass er das Gespräch plötzlich unterbreche. «Während eines Schubs muss ich manchmal wirklich zur Toilette rennen.» Giardina, 40-jährig, Vollbart, die langen Haare zusammengebunden, hat Colitis ulcerosa, eine chronisch entzündliche Erkrankung des Dickdarms, die in Schüben verläuft. Und er hat von Anfang an die Offenheit gewählt, als er vor acht Jahren die Diagnose erhielt: Nicht nur mit Freunden und Familie, auch in der Druckerei, in der er stellvertretender Geschäftsführer ist. «Innert zehn Tagen wussten alle Bescheid.» Weil es ihm wichtig sei, dass die Leute verstünden, warum er mal fehle, kurzfristig absage oder zum x-ten Mal aufs WC gehe. Heute sei er so weit, dass er selbst bei Meetings mit Kunden jeweils zuerst kurz informiere.

Wie eine nie endende Darmgrippe

Rund 25’000 Menschen in der Schweiz leiden unter einer chronisch entzündlichen Darmerkrankung – meist Colitis ulcerosa oder Morbus Crohn. So schreibt es die Patientenvereinigung Crohn Colitis Schweiz, deren Präsident Giardina ist. Als solcher weiss er: Vielen der 3000 Mitglieder, darunter Kinder und junge Menschen, fällt es schwer, über die Krankheit zu reden. «Wenn man es erzählt, muss man erklären. Und wenn man erklärt, ist man schnell bei intimen Themen wie der Anzahl Stuhlgänge …» Dennoch ermuntert er zu Transparenz. Auch weil die Gefahr kleiner werde, dass man sich isoliere. Etwas, das viele Betroffene tun, das aber psychische Probleme wie Einsamkeit und Depressionen auslöse. Giardina lebt Offenheit vor, erzählt unverblümt, während er hin und wieder einen Schluck aus seiner Coldplay-Trinkflasche nimmt, was es heisst, mit Colitis ulcerosa zu leben. Wie eine nie endende Darmgrippe? «Ja, so kann man sich einen Schub vorstellen. Dabei reden wir von fünfzehn bis dreissig Toilettengängen pro Tag.»

«Nicht so cool»

Als er mit 32 Jahren seinen ersten Schub hatte, dachte er deshalb, er habe etwas Schlechtes gegessen: Ihm war übel, es folgten Bauchkrämpfe, Durchfälle ohne Ende, tags darauf mit Blut und Schleim. Auch die Hausärztin tippte erst auf Magen-Darm. Als es nach einer Woche nicht aufhörte, wurde sie hellhörig und schickte Giardina zur Darmspiegelung. «Nicht so cool» sei es gewesen, die Diagnose zu bekommen. Das Understatement, das in dieser Beschreibung mitschwingt, versucht er nicht, zu verstecken. Man sei zwar auch froh, irgendwie, weil sich das Leiden erklären lasse. «Doch zu erfahren, dass man chronisch und unheilbar krank ist, macht Angst.»

Was Betroffene erwartet, ist schwer zu sagen: Colitis ulcerosa verläuft sehr unterschiedlich. Giardina weiss von Leuten, die zwischen Schüben jahrelang fast beschwerdefrei sind. Bei anderen folge Schub auf Schub. Und während die einen x-Mal zur Toilette rennen, krümmen sich andere eher vor Bauchschmerzen. Oder erleben beides. Er selbst hatte Tage, an denen er zwischen sechs und neun Uhr morgens zwölf Mal «rannte». Einmal fand er sich gekrümmt vor dem WC am Boden liegend wieder, weil er derart Bauchweh hatte.

Teils im Dauerschub

Teils sei er im Dauerschub gewesen, habe immer wieder Cortison nehmen müssen – die Nummer eins unter den Therapien, um einen Schub zu stoppen. Erreicht man dies, dreht sich alles darum, die Remission – das vorübergehende oder dauerhafte Nachlassen von Krankheitssymptomen – zu halten. «Es gibt dazu verschiedene Medikamente. Bis man das für sich passende findet, kann man Durststrecken erleben.» Bei Giardina hat alles nur kurzzeitig funktioniert. Quasi austherapiert, tat sich vor drei Jahren die Möglichkeit auf, an einer Studie des Unispitals Zürich mit einem neuen Medikament teilzunehmen. «Seither bin ich fast schubfrei.» Ein Glück! Auch wenn er nicht ohne Beschwerden ist. Gelenkprobleme, Kopfweh, Fatigue bleiben Begleiter – verursacht teils durch Medikamente, teils durch die Krankheit selbst. Und noch etwas bringe man nie weg: «Die Sorge, dass es jederzeit wieder losgehen könnte.» Auch jetzt noch schaut er immer erst, wo die Toiletten sind, wenn er irgendwohin geht. «Stehe ich im Stau, werde ich sehr nervös.» Ersatzwäsche habe er immer dabei.

Halt durch die Familie

So offen und pragmatisch sein Umgang mit der Krankheit wirkt, so gut kennt Giardina Tiefs. Schlimm sei es, wenn ein Medikament nicht mehr funktioniere und wieder eine Therapiemöglichkeit wegfalle. «Für die Psyche ist das krass.» Giardina erlebte es x-mal und musste sich stets neu fangen. «Und fangen lassen.» Halt in jeder Situation gibt ihm seine Frau – und dass er seit eineinhalb Jahren Vater eines kleinen Sohnes ist. Manchmal, wenn er durchatmen muss, setzt er sich auch in seinen alten Fiat 500 und macht eine Ausfahrt. Vor ein paar Jahren hat er ihn gekauft und mit einem Freund restauriert. Er liebe das alte italienische Flair. Und schon sein Vater habe früher einen Cinquecento gehabt.

Gedanken an die Zukunft verdrängt Giardina. Natürlich tauchen sie dennoch auf. Sollte einmal nichts mehr wirken, liesse sich der Dickdarm entfernen und ein künstlicher Darmausgang machen. Für Schwerbetroffene einer Colitis ulcerosa kann dies eine grosse Erleichterung sein. Trotzdem tue er sich diese Gedanken ungern an. «Ich sage mir immer: ‹Jetzt gehts dir gut, geniess das!›»