Kinder wachsen scheinbar unbemerkt. Doch wer genauer hinschaut, lernt, die Zeichen des Wachstums zu deuten, und geht im besten Fall etwas entspannter durch den Familienalltag.

Das Kleinkind quengelt seit Tagen, der Primarschüler klagt beim Einschlafen über dumpfe Schmerzen in den Beinen, die Teenagerin setzt sich wieder öfter auf den elterlichen Schoss: Wenn plötzlich solche und ähnliche Anzeichen auftreten, wenn das eigene Kind sich ganz untypisch verhält – und die Zeichen nach einigen Tagen oder wenigen Wochen auch wieder genauso verschwinden, wie sie gekommen sind –, könnte es sich um Begleiterscheinungen des kindlichen Wachstums und von dessen Entwicklung handeln. Kinder wachsen nämlich nicht gleichmässig, sondern in Schüben. Und diese fallen mal sanfter, mal heftiger aus. Oft verlaufen die Zunahme der Körpergrösse und eine gesunde mentale Entwicklung dabei in dieselbe Richtung. Mit jedem Eintrag auf der Messlatte reifen Kinder auch im Kopf. Das hat mitunter anatomische Gründe: Das Gehirn wächst mit dem Körper mit, was Platz für neue Nervenzellen und Verbindungen schafft.

«Kinder wachsen nicht gleichmässig, sondern in Schüben. Diese fallen mal sanfter, mal heftiger aus.»
Rahel Lüönd

Die drei Phasen des Wachstums

Die rund 16 bis 19 Jahre, bis aus Säuglingen ausgewachsene Menschen geworden sind, lassen sich in drei Wachstumsphasen unterteilen: die ersten drei Lebensjahre, die Kindheit zwischen drei und zwölf Jahren sowie ab der Pubertät bis ins Erwachsenenalter. Eltern von Babys und Kleinkindern wissen, wie intensiv die ersten Jahre mit den acht Wachstumsschüben sind, die alle Kinder nach einer relativ festen Reihenfolge durchmachen. Oft folgt auf schwierige Phasen der Anhänglichkeit, des Quengelns oder Trotzens eine urplötzliche Erleichterung: Das Kind kann etwas Neues, was vorher undenkbar gewesen wäre – und der Alltag ist wieder etwas leichter.

Ab der Kindheit lassen sich die Schübe weniger gut kategorisieren. Sie sind sehr individuell und von unterschiedlichen Anzeichen begleitet. In dieser Phase können typischerweise Wachstumsschmerzen auftreten, welche auch bis in die Pubertät andauern können. Manche Kinder im Primarschulalter haben dann nachts dumpf-drückende Schmerzen meist in den Beinen. Die Häufigkeit ist von Kind zu Kind verschieden, es kann aber gut sein, dass nach einigen Nächten der Spuk bereits wieder verflogen ist.

In der Pubertät legen die Jugendlichen individuell noch einmal ordentlich an Grösse zu. Insgesamt wachsen Mädchen in dieser Zeit zwischen 10 und 20 Zentimeter, bis sie mit durchschnittlich 16 Jahren ausgewachsen sind. Bei den Jungs tritt die pubertäre Wachstumsphase etwas später ein, ist dafür auch erst mit etwa 19 Jahren abgeschlossen. Sie wachsen in der Pubertät rund 20 bis 35 Zentimeter. Übrigens: Das Hirn reift bis Anfang 30 noch nach, das körperliche Wachstum ist also vor der Hirnentwicklung abgeschlossen.

Was tun bei Wachstumsschmerzen?

Da sie häufig die Lebensqualität von Kindern beeinträchtigen, lohnt es sich, Wachstumsschmerzen nicht auf die leichte Schulter zu nehmen. Berichten Kinder von einem heftigen, dumpfen, drückenden oder krampfartigen Schmerz und können deshalb kaum einschlafen, ist vielleicht das Wachstum schuld. Das fiese an Wachstumsschmerzen ist, dass sie in der Regel nachts auftreten und so für manch schlaflose Stunde sorgen können. Denn in Ruhephasen sind wir empfindlicher für Körperreize, da die Ablenkung fehlt. Die Schmerzen sind typischerweise um die Knie herum angesiedelt, können aber auch in Oberschenkeln, Fussgelenken und Waden oder sogar in den Armen spürbar sein. Sie treten oft immer wieder schubweise auf. Wurden sie als wachstumsbedingt diagnostiziert, können Eltern schon mal aufatmen: Wachstumsschmerzen sind nichts Gefährliches. Um die Nächte etwas entspannter zu gestalten, bieten sich neben viel Trost vor allem Wärmekissen oder Kältepads an. Mit für Kinder geeigneten Salben oder Ölen lassen sich die Stellen auch etwas massieren.

Andere Zeichen erkennen

Die übrigen möglichen Wachstums- und Entwicklungsbeschwerden sind manchmal gar nicht so einfach zu erkennen, weil es sich dabei um Anzeichen handeln kann, die auch viele andere Ursachen haben können. Unzufriedenheit, Weinerlichkeit, Abkapseln oder umgekehrt Anhänglichkeit können vorkommen. Eltern merken manchmal erst nach einem Schub – wenn die Beschwerden wieder vorüber sind –, dass ein Wachstumsschub bei ihrem Kind passiert ist. Manchmal hilft aber gerade bei den nicht zuordenbaren Anzeichen, die ganz untypisch für die Persönlichkeit des Kindes sind und an den elterlichen Kräften zehren können, die Hoffnung, dass diese sich mit fortlaufendem Wachstum auch sehr schnell wieder legen können. Die Freude über das Gelernte, über die neu gewonnene Zufriedenheit und Schmerzfreiheit ist dann für Kinder wie auch Eltern eine schöne Belohnung für das Überstandene. Vielleicht erinnern Sie sich beim nächsten Mal daran, wenn gerade wieder alles drunter und drüber läuft?