2007, als er seinem neuesten Hobby Tauchen frönte, spürte Heinz Bühlmann zum ersten Mal, dass etwas nicht stimmte. «Das Tauchen war super – bis ich mich mit der schweren Sauerstoffflasche kaum aus dem Wasser hieven konnte», erzählt der heute 67-Jährige. Auch das Gehen am Strand fiel ihm schwerer als erwartet. Anfangs schob er es auf mangelnde Kondition und Fitness. Doch als die Kraft in den Beinen weiter nachliess, suchte er seinen Hausarzt auf.

Es folgten viele Untersuchungen. «Ich sollte auf dem Boden hinknien und wieder aufstehen. Aber ich musste mit den Händen nachhelfen, allein mit den Beinen schaffte ich es nicht.» Ein Neurologe in Aarau testete seine Muskeln mit Stromstössen und schickte ihn nach Basel, wo die erste Diagnose gestellt wurde: Verdacht auf spinale Muskelatrophie. Es vergingen weitere Jahre, bis 2014 nach mehreren DNA-Tests Klarheit herrschte: Heinz leidet an Morbus Sandhoff.

«Ich kann die Krankheit nicht ändern, aber ich kann entscheiden, wie ich damit umgehe.»
Heinz Bühlmann

Eine seltene Diagnose

Morbus Sandhoff ist eine extrem seltene, vererbte Stoffwechselkrankheit, die das Nervensystem schädigt. Muskelschwäche, Sehprobleme und geistige Beeinträchtigungen gehören zu den möglichen Symptomen. Meist tritt sie bereits im Säuglingsalter auf und führt früh zum Tod. Heinz jedoch hat die adulte Form – eine der seltensten Varianten der Krankheit. Weltweit sind nur wenige Fälle bekannt, in der Schweiz ist er einer von gerade einmal zwei Betroffenen. Bei Heinz ist die Krankheit weniger stark ausgeprägt.

Ein Leben mit Einschränkungen – aber ohne Schmerzen

«Ich habe zum Glück keine Schmerzen. Aber Treppen steigen? Das ist ein Kraftaktt», sagt Heinz schmunzelnd. Je höher die Stufen, desto schwieriger wird es. «Wenn es kein Geländer gibt, kann es sein, dass ich auf allen Vieren hochkriechen muss.» Auch unterwegs benötigt Heinz Unterstützung. Ist er mit den öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs, ist er auf Rampen angewiesen. Zur Sicherheit und falls er trotzdem mal stürzen sollte, trägt er immer Protektor-Hosen und Knieschoner. Früher arbeitete Heinz als Werkstattleiter und baute unter anderem Fahrzeuge für Menschen mit Mobilitätseinschränkungen um. Heute profitiert er selbst von solchen Anpassungen: Sein Haus ist mit einem speziellen Treppenlift ausgerüstet. «Ich brauche ihn nicht immer, aber es gibt mir Sicherheit. Solange ich laufen kann, will ich meine Muskulatur trainieren.»

Selbsthilfe als Lebensaufgabe
Nach der Diagnose suchte Heinz den Austausch mit anderen. Die Schweizerische Muskelgesellschaft wurde zu einer wichtigen Stütze – und bald auch zu einem Teil seines Engagements. 2011 übernahm er die Leitung der Selbsthilfegruppe «Soleil» für
Menschen mit seltenen Muskelerkrankungen. «Wir sind 30 Mitglieder, aus der ganzen Schweiz, aus verschiedenen Altersgruppen, mit unterschiedlichen Diagnosen», erzählt Heinz. Früher trafen sie sich mehrmals jährlich zu Ausflügen in Museen oder Käsereien, heute sind die Treffen gemütlicher. Das Zusammensein ist am wichtigsten. «Wir treffen uns, reden, unterstützen uns gegenseitig.»

Seine positive Einstellung beeindruckt. «Ich kann die Krankheit nicht ändern, aber ich kann entscheiden, wie ich damit umgehe.» Heinz sieht sein Engagement als Geschenk. «Ohne die Krankheit hätte ich viele wunderbare Menschen nie kennengelernt.»


Zukunftswünsche? «Noch ein paar gute Jahre.»
Heute ist Heinz pensioniert, lebt mit seiner Frau in Buchs AG und freut sich über Besuche seiner Enkel aus Portugal. Er nimmt das Leben, wie es kommt. «Ich hoffe einfach, dass ich mich noch lange frei bewegen kann.» Eine Heilung gibt es nicht, aber das stört Heinz nicht. «Es ist schon richtig, dass die Forschung sich auf häufiger erscheinende Krankheiten konzentriert», sagt Heinz pragmatisch. «Ich mache das Beste aus dem, was ich habe.» Sein Rezept? Bewegung, Austausch und Humor. Er geht zweimal die Woche in die Physiotherapie, macht Aquafit, sonntags wird ausgiebig spaziert. «Jede Stufe, die ich hochkomme, ist ein Erfolg. Und wenn ich mal stürze – na ja, dann weiss ich beim nächsten Mal, wie ich es besser mache.» Heinz ist eben ein Optimist, durch und durch.

Morbus Sandhoff – eine seltene Stoffwechselkrankheit

Morbus Sandhoff ist eine genetisch bedingte, fortschreitende Erkrankung des Nervensystems. Dabei bilden sich schädliche Stoffe im Gehirn. Weltweit gibt es nur wenige Hundert dokumentierte Fälle. Die Krankheit wird in den meisten Fällen bereits im Säuglingsalter diagnostiziert und die Erkrankten sterben früh. Es gibt nebst der Säuglingsform auch die Kindheitsform (späterer Beginn, aber schwerer Verlauf) und die seltene, adulte Form (milder, langsamer fortschreitend), an welcher Heinz Bühlmann erkrankt ist.

Die Symptome variieren, umfassen aber oft Bewegungsstörungen und geistige Beeinträchtigungen. Leider ist Morbus Sandhoff bisher unheilbar.

Schweizerische Muskelgesellschaft

Die Schweizerische Muskelgesellschaft unterstützt Menschen mit neuromuskulären Erkrankungen und ihre Angehörigen mit einem umfassenden Angebot – von persönlicher Beratung und Selbsthilfegruppen bis hin zu Kursen, Freizeitangeboten und sozialversicherungsrechtlicher Unterstützung. Sie vernetzt Betroffene, fördert den Austausch und setzt sich für ihre Anliegen ein. Zudem bietet sie eine wertvolle Wissensplattform rund um seltene Muskelerkrankungen. 

Mehr erfahren über die Schweizerische Muskelgesellschaft und die Selbsthilfegruppe «Soleil»

www.muskelgesellschaft.ch

https://soleil-smg.jimdofree.c...