20 Jahre kleine, blaue Pille
Sie ist blau und nur etwa fingernagelgross – und doch hat sie eine Art sexuelle Revolution ausgelöst. Seit die Viagra-Pille vor 20 Jahren in den USA als Medikament gegen Erektionsstörungen zugelassen wurde, hat sie in aller Welt Millionen zumeist älteren Männern wieder ein aktives Sexleben ermöglicht.
Das Mittel, dessen Nutzen im Schlafzimmer nur zufällig entdeckt wurde, entwickelte sich schnell zum Lifestyle-Medikament. Am 27. März 1998 erteilte die US-Arzneimittelbehörde FDA dem US-Pharmakonzern Pfizer die Zulassung für Viagra, später kam es auch in der Schweiz auf den Markt.
Der Wirkstoff Sildenafilcitrat war ursprünglich als Mittel gegen Bluthochdruck und Angina entwickelt worden. In klinischen Tests berichteten die Probanden aber, dass sie dank des Wirkstoffs wieder eine zuverlässige Erektion bekommen könnten.
Viagra war die erste Pille gegen Erektionsstörungen. Seit ihrer Zulassung wurde sie in aller Welt etwa 65 Millionen Mal verschrieben.
Tabu beseitigt
Impotenz und Sex im Alter waren plötzlich nicht mehr tabu, die Medien entdeckten das Thema für sich. Der US-Senator und einstige Präsidentschaftskandidat Bob Dole war einer der ersten Politiker, die im Fernsehen das Thema aufgriffen. «Es ist ein bisschen peinlich, über Erektile Dysfunktion zu sprechen, aber es ist so wichtig für Millionen Männer und ihre Partnerinnen", sagte er.
Auf diese Weise habe Viagra «eine grosse Rolle» bei der Entwicklung eines neuen Umgangs mit dem Thema Sex im Alter gespielt, sagt die Urologin Elizabeth Kavaler. Mittlerweile gehöre ein aktives Sexleben wie selbstverständlich zu den Erwartungen für den Lebensabend.
Kein Aphrodisiakum
Allerdings dürften sich Männer nicht zu viel von Viagra versprechen, sagt Louis Kavoussi, der für das New Yorker Spitalnetzwerk Northwell Health die Abteilung Urologie leitet. «Es ist kein Aphrodisiakum», stellt er klar. Viele Männer klagten, dass ihre Frauen kein Interesse an Sex hätten. «Und ich sage dann: Viagra wird das nicht ändern.»
Viagra habe zwar den Umgang mit Sex im puritanischen Amerika aufgelockert, sagt der Leiter der Station für Urologie und Fertilitätsmedizin im Universitätsklinikum von Staten Island, Nachum Katlowitz. «Aber zum grössten Teil wurden die Frauen bei der Revolution für eine Verbesserung des Sexuallebens aussen vor gelassen.»
Frauen müssen weiter warten
Erst 2015 wurde von der FDA mit Addyi ein Mittel zugelassen, das als «Viagra für Frauen» tituliert wurde. Die Libido-steigernde Tablette ist allerdings umstritten und kein Kassenschlager wie Viagra. Zu ihren Nebenwirkungen zählen Übelkeit, Erbrechen und Selbstmordgedanken, und sie darf nicht mit Alkohol eingenommen werden.
Ausserdem kostet eine Packung Addyi mehrere hundert Dollar und ist damit lange nicht so günstig wie Viagra, von dem es mittlerweile auch billige Nachahmerprodukte gibt. Auch andere Therapien wie Laserbehandlungen oder Hormongaben sind weiterhin sehr teuer.
Ein Durchbruch wie bei Viagra steht bei Frauen mit körperlich bedingten Sex-Problemen noch aus, diagnostiziert die Urologin Kavaler. «Wir hinken den Männern mindestens 20 Jahre hinterher.»
Quelle: SDA