Rolf Lüscher wirkt entspannt, als er die Arbeit in seinem Garten in Seon im Kanton Aargau unterbricht. Doch als er von seinen Erlebnissen der letzten Jahre erzählt, wird deutlich, welche Herausforderungen er bewältigen musste. «Es fing alles mit einem harmlosen Waldspaziergang an», erinnert er sich. Ein Ausflug, der sein Leben auf den Kopf stellen sollte.
Von einer Rötung zum Krankenhaus
Ende August 2009 ist Lüscher, ein passionierter Pilzsammler, mit seiner Partnerin im Wald unterwegs. Trotz langer Hosen und Zeckenschutz entdeckt er am Abend eine Zecke an seinem Oberschenkel. Nichts Besonderes. «Zecken sind recht üblich, an manchen Tagen haben wir je bis zu vier Stück, die wir entfernen müssen», erzählt er. Diese Zecke lässt sich jedoch nicht entfernen, und Lüscher muss zum Arzt. Es scheint alles in Ordnung.
Rolf Lüscher vergisst den Stich wieder. Auch Wochen später, während einer Busfahrt auf einer Weinreise in Österreich, denkt er nicht daran, als er auf seinem Oberschenkel eine Rötung entdeckt. «Ich dachte, ich hätte mich verbrannt», erinnert er sich. In Wirklichkeit war dies aber die Wanderröte – ein typisches Symptom für Borreliose, die mit Antibiotika behandelt werden sollte. Rolf Lüscher unternimmt nichts, die Röte verschwindet von selbst wieder.
Erst im Oktober, knapp zwei Monate nach dem Zeckenstich, kommt es zum Ausbruch. Rolf hat «Metzgete» in seinem Restaurant in Hendschiken, es ist volles Haus. «Es war ein Megastress und ich hatte viel zu tun.» Plötzlich hat Lüscher so starke Schmerzen, dass er nicht mehr gehen kann. «Ich musste fast auf allen vieren ins Bett kriechen.» Trotz Schmerzmitteln bessert sich sein Zustand nicht. Er fährt nach einigen Tagen ins Krankenhaus in Aarau, wo nach vielen Stunden und unzähligen Tests endlich eine Borreliose diagnostiziert wird.
Die Odyssee beginnt
Was folgt, ist eine medizinische Odyssee. Lüschers rechtes Bein ist gelähmt, auch im linken beginnen die Probleme. Er bekommt Antibiotika. Nach drei Wochen Krankenhausaufenthalt und fünf Wochen Reha in Rheinfelden zeigt sich keine Besserung.«An beiden Orten ging ich mit gleich viel Schmerzen wieder raus», erinnert er sich kopfschüttelnd. Im Rollstuhl sitzend, kann er nicht arbeiten. Seine Partnerin muss das Restaurant allein führen. Die Rettung kommt durch einen Stammkunden, der Lüscher an einen inzwischen pensionierten Spezialisten in Zürich verweist. Nach einer vierwöchigen intensiven und intravenösen Antibiotikabehandlung spürt er endlich Linderung. «Am 23. Tag liessen die Schmerzen endlich nach.»
Wissen rettet Leben
Was viele nicht wissen: Die gängige Zeckenimpfung schützt nur gegen Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME), nicht aber gegen Borreliose. Das BAG schätzt, dass in der Schweiz jährlich 10’000 Personen an Borreliose erkranken. Etwa 5 bis 30 Prozent der Zecken sind mit dem Erreger infiziert.
Langzeitfolgen und neue Perspektiven
Die Borreliose hat beim 77-Jährigen Spuren hinterlassen. Drei Jahre lang musste er zur Physiotherapie. Nach monatelanger Therapie konnte er endlich wieder seine Zehen bewegen – ein emotionaler Moment. Über ein halbes Jahr war er arbeitsunfähig, eine enorme Herausforderung für den selbstständigen Wirt. «Meine Partnerin hat in dieser Zeit das Restaurant am Laufen gehalten», erzählt er voller Dankbarkeit. «Wir mussten auf ein einfacheres Menü umstellen, und ich habe sie am Telefon instruiert: vom Spitalbett aus, während sie am Herd stand.» Auch heute spürt Lüscher noch die Folgen. «Ich habe immer noch ein Kribbeln in der Fusssohle», erklärt er. «Und auf unebenem Boden fällt mir das Gehen schwer. Aber sonst gehts mir gut.»
Lüscher nutzt seine Erfahrungen, um andere zu warnen. «Es wird zu wenig über diese Krankheit geforscht», kritisiert er. «Und viele Ärztinnen und Ärzte erkennen die Symptome nicht.» Er rät Betroffenen, sich an spezialisierte Fachpersonen zu wenden. «Eine frühe und richtige Behandlung ist entscheidend.» Trotz allem hat der pensionierte Wirt seine Lebensfreude nicht verloren. Mit einem Lächeln sagt er: «Ich gehe natürlich immer noch in den Waldzum Pilzesammeln.» Es bleibt sein liebstes Hobby – ein Beweis dafür, dass selbst nach schweren Zeiten die Freude am Leben zurückkehren kann.