Glutenfrei: Sinnlos für Nichtallergiker

Wer unter Zöliakie leidet, muss bei Nudeln, Brot und süssen Stückchen auf glutenfreie Varianten zurückgreifen. Denn bei Menschen mit dieser chronischen Dünndarmerkrankung führt der Verzehr glutenhaltiger Lebensmittel zu einer fehlgeleiteten Abwehrreaktion des Immunsystems.
Glutenverzicht
Ein bestimmter Glutenbestandteil löst diese eigentlich falsche Autoimmunreaktion aus: Diese führt zu einer chronischen Entzündung und Schädigung der Dünndarmschleimhaut. Dabei werden feine Ausstülpungen der Dünndarmschleimhaut zerstört, die dafür zuständig sind, im Darm lebenswichtige Nährstoffbestandteile aus dem Essen ans Blut weiterzuleiten. Das führt zu einer Mangelversorgung, z.B. mit den fettlöslichen Vitaminen A, D, E und K sowie mit Mineralstoffen wie Kalzium und Eisen.
Auch Energie, Eiweiss und lebensnotwendige Fettsäuren werden dann nicht in ausreichendem Masse zugeführt. Mögliche Spätfolgen einer unbehandelten Zöliakie sind Dünndarm- oder Speiseröhrenkrebs. Deshalb ist es wichtig, Zöliakie rechtzeitig zu erkennen und die Ernährung konsequent auf glutenfreie Lebensmittel umzustellen.
Gluten – das steckt dahinter
Gluten ist das z.B. in Dinkel, Weizen, Roggen oder Gerste enthaltene Klebereiweiss des Getreides. Es macht Nudel- und Brotteig elastisch und weist positive Backeigenschaften auf. Deshalb werden die meisten Brotarten aus glutenreichem Mehl gebacken. Die Glutene verschiedener Getreidearten unterscheiden sich geringfügig in ihren Bestandteilen.
Weizengluten weist die besten Backeigenschaften auf. Bezogen auf die Nährwerte gilt Gluten als minderwertiges Eiweis. Wer eine Glutenunverträglichkeit aufgrund von Zöliakie aufweist, muss darauf verzichten. Wer diszipliniert einkauft und kocht, braucht dabei keine gesundheitlichen Bedenken zu haben. Denn Gluten zählt nicht zu den lebenswichtigen Nährstoffen.
Freiwilliger Verzicht bringt nichts
Glutenfreie Produkte gibt es in vielen Lebensmittelmärkten. Bei Teig- und Backwaren wird das Mehl etwa durch getreidefreie Zutaten ersetzt, z.B. aus Kartoffeln, Reis, Mais oder Buchweizen. Einer Ernährung ohne Gluten eilt der Ruf voraus, besonders gesund zu sein – weshalb Produkte ohne das etwas in Verruf geratene Klebereiweiss im Trend liegen. Doch ohne Grunderkrankung dauerhaft darauf zurückzugreifen, bringt offenbar wenig.
So zeigte 2017 beispielsweise eine gross angelegte Studie von Forschern der Columbia University und der Harvard Medical School, dass bei gesunden Menschen ein Verzicht auf Glutenprodukte das Herzinfarktrisiko nicht signifikant senkt. Dieser Zusammenhang war in früheren Studien, die ausschliesslich mit Zöliakie-Betroffenen gemacht wurden, festgestellt und von Diätratgebern auf die Gesamtbevölkerung verallgemeinert worden. Die Analyse der US-Forscher ergab eher das Gegenteil: In der Probandengruppe mit der geringsten Glutenmenge lag das Risiko für einen Herzinfarkt sogar leicht höher als in der Gruppe mit dem höchsten Glutenkonsum.
Auch die Hoffnung vieler Menschen, glutenfrei schneller abzunehmen, ist bislang nicht wissenschaftlich belegt. Lebensmittel ohne Gluten sind in der Regel nicht kalorienärmer, teurer hingegen schon. Dennoch glauben viele Menschen, die von ihrer Veranlagung her überhaupt keine Zöliakie entwickeln können, unter einer Glutensensitivität zu leiden. Subjektiv fühlen sie sich besser, seit sie das Gluten einfach weglassen.
Nocebo-Effekt
Das bewegte australische Wissenschaftler um Jessica R. Biesiekierski und Peter Gibson, in zwei kleineren Studien (2011 und 2013) zu untersuchen, ob es eine nicht-zöliakische Glutensensitivität gibt. Die von ihnen untersuchten Patienten mit Reizdarm und einer vermuteten Glutensensitivität reagierten zwar positiv auf eine Diät mit glutenfreien Nahrungsmitteln. Die gleichen Ergebnisse erzielten aber auch Probanden, in deren Diäten auf andere Stoffe verzichtet wurde. Nun vermuten die Forscher einen Nocebo-Effekt – das heisst, die gewünschte Wirkung tritt allein aufgrund der erwarteten Wirksamkeit und unabhängig von der eliminierten Substanz selbst ein.
Kennzeichen der Zöliakie
Eine genetische Veranlagung zählt zu den Ursachen der Zöliakie, es sind also vielfach auch andere Mitglieder innerhalb einer Familie betroffen. Meist bricht die Erkrankung im Säuglingsalter aus, ca. 1 bis 6 Monate nachdem die Babys erstmals Brei mit Griess bzw. Getreideflocken gefüttert bekamen.
Doch Zöliakie kann in jedem Lebensalter erstmalig auftreten, selbst bei Erwachsenen – dann auch einheimische Sprue genannt. Säuglinge leiden unter lang andauernden Verdauungsbeschwerden, die teilweise mit Durchfall und Blähungen einhergehen und zu Erbrechen führen. Massiv gefüllte Darmschlingen zeigen sich manchmal als Blähbauch.
Kennzeichnend sind ferner Gedeihstörungen und Gewichtsabnahme. Durch Eisenmangel kommt es zu Blutarmut und blasser Hautfarbe, manchmal treten Juckzeiz oder Blasen auf der Haut auf. Häufig sind Betroffene psychisch labil. Bei älteren Kindern sind die Leitbeschwerden oft weniger ausgeprägt, hier fallen eher Appetitlosigkeit, Verstopfung, Wachstumsstörungen oder eine verzögerte Pubertät auf.
Diagnose
Treten die genannten Beschwerden auf, ist ein Arztbesuch angezeigt. Blutuntersuchungen weisen einen Nährstoffmangel und Autoantikörper nach. Eine Verlaufskontrolle nach Behandlungsbeginn zeigt innerhalb der nächsten Wochen, ob die Therapie – in diesem Falle eine Ernährungsumstellung – erfolgreich ist und erhärtet den Verdacht. Zur Bestätigung der Diagnose erfolgt dann noch eine Dünndarmbiopse, bei der eine Gewebeprobe aus dem Dünndarm entnommen wird. Diese kann die Zerstörung der Zotten nachweisen.
Was bei Zöliakie wichtig ist
Die Behandlung der Zöliakie erfolgt über eine konsequente Umstellung der Ernährung auf glutenfreie Lebensmittel, die in den allermeisten Fällen lebenslang durchgehalten werden muss. Dabei werden anstelle von Getreiden wie Weizen, Roggen und Gerste glutenfreie Lebensmittel gegessen oder als Koch- und Backzutaten verwendet, z.B. Reis, Mais, Maisstärke, Buchweizen, Hirse, Qinoa, Amarant, Kartoffeln, Kartoffelstärke.
Gluten Ersatz
Zum Ersatz von Vollkorn können glutenfreie Saaten genutzt werden wie Sonnenblumenkerne, Leinsamen, Sesam oder Kürbiskerne. Auch Milch und Milchprodukte sind glutenfrei, sofern Käse keine bemehlte Rinde haben. Fleisch, Fisch und Geflügel sind glutenfrei – wer sein Essen selbst kocht, geht sicher, dass Sossen keine glutenhaltigen Bindemittel und Gewürzmischungen enthalten.
Alle Arten von Obst und Gemüse sowie Kräutern sind glutenfrei, wobei auch hier auf glutenhaltige Zubereitungen verzichtet werden muss (z.B. Gemüse nicht in Mehlsosse). Glutenfrei sind auch Nüsse und Mandeln, Zucker, Honig und Marmeladen, Kochsalz und Essig. Zu den glutenfreien Getränken zählen nicht aromatisierter Tee, Kakaopulver, Fruchtsäfte, Mineral- und Tafelwasser. Unter den Genussmitteln sind Bohnenkaffee, Wein sowie klare Spirituosen glutenfrei.