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APROPOS Ausgabe 4/22
«Ein Wunder, dass ich noch lebe»

Knapp volljährig, erhält eine junge Baslerin mit einer Spenderleber ein zweites Leben. Das Verrückte daran: Sie hatte keine Ahnung, dass ihre eigene Leber gerade komplett versagt.

Von Rahel Lüönd

Foto: Christoph Läser

Der Tag, an dem Désirée Facqueurs Leben sich schlagartig änderte, war der 21. Dezember 2016. Sie erinnert sich, als wäre es gestern gewesen. Es war ein Mittwoch nach zwei freien Tagen, an dem die angehende Detailhandelsfachfrau ungewohnt leicht aufstand und richtig motiviert zur Arbeit in ein Modegeschäft der Stadt Basel fuhr, obwohl sie zuvor Bauchschmerzen gehabt hatte. «Ich war damals launisch, impulsiv – und ehrlich gesagt kurz davor, die Lehre zu schmeissen», erzählt die heute 24-Jährige. Ein Tag wie dieser war die Ausnahme. Mit 18 war ihr Leben bestehend aus Schule, Arbeitsstelle, toxischer Beziehung und besorgten Eltern gelinde gesagt schwierig. Aber an diesem Morgen hatte der Wecker nur einmal geklingelt und sie fühlte sich bereit für einen langen Arbeitstag.

Vom Geschäft in den Notfall

Als die Vorgesetzten Désirée Facqueur im Geschäft erblickten, schickten sie die junge Frau – gelb im Gesicht und in den Augen – allerdings sofort in den Notfall. Die Ärzte untersuchten sie zuerst auf Gallensteine, dann diagnostizierten sie akutes Leberversagen. Die immer schwächer werdende Baslerin wurde nach Zürich transportiert und kam am 26. Dezember schliesslich auf Platz 1 der Notfallliste für Organspenden. Kurze Zeit später setzten die Spezialisten ihr eine neue Leber ein. Nur sechs Tage, nachdem sich Désirée Facqueur medizinisch untersuchen liess, führte das meistdurchblutete Organ des Körpers bereits keinen Tropfen Blut mehr in sich. «Es war ein Wunder, dass ich überhaupt noch lebte.»

Erst noch eine vermeintlich gesunde junge Frau, fand sich Désirée Facqueur transplantiert im Spital und anschliessend in der Reha wieder. Ihr Körper musste vom absoluten Nullpunkt wieder lernen zu sitzen, zu laufen, zu leben. Rund zwanzig hoch dosierte Medikamente unterstützten ihn dabei. «Ich liess alles mit mir geschehen und war trotz Schock im Nachhinein froh, dass ich nicht schon Jahre zuvor davon gewusst und mir Sorgen gemacht hatte», erzählt die Baslerin. Denn das Leberversagen war eine unausweichliche Konsequenz einer seltenen Erbkrankheit, die sich aus dem Genpool ihrer beiden Elternteile ergeben hatte. Morbus Wilson heisst die Erkrankung, aufgrund derer der Körper Kupfer nicht ausreichend ausscheidet. Das Kupfer sammelt sich deshalb vor allem in der Leber, aber auch im Hirn, in den Augen oder andernorts.

Arthrose als Langzeitfolge

Der Weg zurück ins Leben war für Désirée Facqueur alles andere als einfach. Innerhalb von einem Monat holte sie 18 Prüfungen nach und erkämpfte sich den Lehrabschluss. Obwohl die Krankheit mit der Transplantation Geschichte war, hat sie in ihrem Körper Spuren hinterlassen. So hat sich in ihren Knien, vermutlich aufgrund von Kupferablagerungen, eine Arthrose ausgebreitet, die sie heute sogar stärker einschränkt als die fremde Leber. Was wäre gewesen, wenn sie an diesem Tag wie sonst manchmal bei ihrem ehemaligen Freund ausgeschlafen und geschwänzt hätte? Mit der Zeit kam langsam die Erkenntnis, wie viel sie mit der neuen Leber gewonnen hatte. Da war irgendwo ein Mensch, der ihr einen Neuanfang ermöglicht hatte. Der ein junges Leben vor dem Tod gerettet hatte. Sie sei ihrem Spender enorm dankbar, sagt sie. Nach jeder jährlichen Kontrolle noch einmal mehr. «Mit meiner zweiten Chance will ich mein Ding durchziehen, einfach mein Leben so leben, wie ich es für richtig halte.» Sie habe das Gefühl, das sei sie ihrem Spender schuldig – auch wenn sie weder ihn noch seine Angehörigen kenne.

Mehr Lebensfreude dank neuer Ausbildung

Ihr Blick aufs Leben hat sich durch ihre ungewohnte Geschichte gewandelt. Sie lebt bewusster, hört mehr auf ihren Körper und ist kaum noch krank. Trotz der täglichen immunschwächenden Tablette, die verhindert, dass ihr Körper die Spenderleber abstösst. Wegen der Arthrose hat sie als Zweitausbildung das KV gemacht und arbeitet nun in der Immobilienfirma ihrer Eltern. Nebenbei hat sie sich zur Make-up-Artistin ausbilden lassen und arbeitet in Teilzeit bei Tele Basel. Auch ihr Hund Chico gibt ihr Halt und Vertrauen. Die Transplantation und ihre Krankengeschichte haben sich tief ins Bewusstsein von Désirée Facqueur eingebrannt und sind zu einem wichtigen Teil von ihr geworden. Sie habe sich immer gesund gefühlt, gedacht, so was passiert anderen, erzählt sie nachdenklich. Manchmal passiert es eben doch einem selbst. «Ich habe Pech gehabt – aber eigentlich auch ganz viel Glück.»