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APROPOS Ausgabe 3/23
«Nahrungsergänzungsmittel sind Lebensmittel und keine Heilmittel»

Der Gesundheitsmarkt bietet eine Vielzahl an Medikamenten, aber auch Nahrungsergänzungsmitteln (NEM) an. APROPOS hat Beatrice Wild, Apothekerin der TopPharm Wyna Apotheke in Unterkulm, zum Thema befragt.

Von Jasmin Geissbühler

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Frau Wild, worin unterscheidet sich ein Nahrungsergänzungsmittel (NEM) konkret von einem Medikament?

Nahrungsergänzungsmittel – kurz NEM – sind Lebensmittel und keine Heilmittel. Sie unterstehen dem Lebensmittelrecht und brauchen daher für die Abgabe auch keine behördliche Zulassung, wie diese für Medikamente benötigt wird. Nahrungsergänzungsmittel sind dazu bestimmt, die Ernährung zu ergänzen: mit Vitaminen, Mineralstoffen oder sonstigen Stoffen mit ernährungsspezifischer oder physiologischer Wirkung. Wir kennen solche Präparate zum Beispiel als Tabletten, Kapseln oder Tropfen. Wie alle Lebensmittel sind auch Nahrungsergänzungsmittel frei verkäuflich, beispielsweise im Detailhandel, in Apotheken und Drogerien oder über das Internet. Sie dürfen allerdings nicht als Heilmittel aufgemacht oder mit Hinweisen zur Heilung, Linderung oder Verhütung von Krankheiten beworben werden.
Medikamente hingegen sind Produkte chemischen oder biologischen Ursprungs, die zur medizinischen Einwirkung auf den menschlichen oder tierischen Organismus bestimmt sind oder angepriesen werden, insbesondere zur Erkennung, Verhütung oder Behandlung von Krankheiten, Verletzungen und Behinderungen. Die Anforderungen an Medikamente sind sehr streng, denn es muss im Vorfeld in klinischen Studien bewiesen werden, dass ein Medikament wirkt. Medikamente erhält man nur in Apotheken, Drogerien, Spitälern sowie in Arztpraxen. Denn die Abgabe unterliegt strengen Kontrollen und es benötigt eine gezielte Information sowie eine Gebrauchsanweisung für die Anwenderin oder den Anwender.

Können Sie ein konkretes Beispiel machen?

Es gibt beispielsweise ein Arzneimittel auf Ginkgo-Basis, welches als Extrakt in klinischen Studien an Menschen bewiesen hat, dass es die Durchblutung des Gewebes und die Sauerstoffversorgung der Zellen verbessert. Das Medikament kann somit nachweislich bei Tinnitus, Vergesslichkeit und Schwindel eingesetzt werden. Bei diesem Arzneimittel ist genau vorgeschrieben, wie viel Prozent des wirksamen Inhaltsstoffes enthalten sein muss. Bei Nahrungsergänzungsmitteln hingegen ist lediglich die Höchstmenge eines Inhaltsstoffes festgelegt, nicht aber das Minimum.

Wie erkennt man, ob es sich bei einem Produkt um ein Medikament oder um ein Nahrungsergänzungsmittel handelt?

Ein Medikament hat eine Bewilligung von der Zulassungsbehörde für Arzneimittel Swissmedic und weist auf der Verpackung je nach Abgabekategorie eine entsprechende Kennzeichnung auf.

Kategorie A
Verschreibungspflichtig (ärztliche Verordnung), einmalige Abgabe Beispiele: Antibiotika, Betäubungsmittel, Zytostatika
Kategorie B
1. Verschreibungspflichtig (ärztliche Verordnung), einmalige oder mehrmalige Abgabe
Beispiele: Blutdrucksenker, Psychopharmaka, Lipidsenker
2. Dokumentationspflichtig (Abgabe auch ohne ärztliche Verordnung in Verantwortung der Apothekerin / des Apothekers)
Beispiele: Codein, Cortisonnasensprays, Säureblocker, «Pille danach», Notfallabgaben
Kategorie C
Ab 2019 aufgehoben und in die Kategorien B oder D umgeteilt.

Kategorie D
Abgabe nach Fachberatung, nicht verschreibungspflichtig
Beispiele: Ibuprofen, Paracetamol (in niedriger Dosierung), Phytopharmaka, Ex-Liste-C-Präparate

Kategorie E
Freikäuflich, ohne Fachberatung, nicht verschreibungspflichtig
Beispiele: Hustenbonbons, Tees

Wann ist man mit einem Nahrungsergänzungsmittel gut bedient und wann raten Sie eher zu einem Medikament?

Wenn man Rat zu einem gesundheitlichen Problem benötigt, sollte man sich an eine Ärztin, einen Apotheker oder einen Drogisten wenden. Denn Medikamente müssen oft über einen bestimmten Zeitraum eingenommen werden und die Einnahme sollte von einer medizinischen Fachperson begleitet werden. Nahrungsergänzungsmittel ergänzen – wie der Name bereits sagt – die Ernährung, sie sind bei einer abwechslungsreichen und ausgewogenen Ernährung aber meist nicht notwendig. Auch können sie eine einseitige und unausgewogene Ernährung nicht ausgleichen. Für bestimmte Bevölkerungsgruppen kann jedoch die vorübergehende Einnahme von NEM sinnvoll sein. Dazu gehören etwa Frauen mit Kinderwunsch oder Schwangere. Für ältere Personen kann eine Ergänzung mit Calcium und Vitamin D sinnvoll sein. Für Personen, welche sich vegetarisch oder vegan ernähren, empfiehlt sich eine Nahrungsergänzung mit B-Vitaminen.

Was gilt es bei der Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln zu beachten?

NEM sind Lebensmittel und als solche frei verkäuflich. Die auf der Verpackung angegebene empfohlene Tagesdosis darf nicht überschritten werden. Nahrungsergänzungsmittel dürfen auch nicht als Ersatz für eine abwechslungsreiche Ernährung gesehen werden; und allfällige Warnhinweise müssen beachtet werden. Zum Beispiel kann ein Magnesium-Präparat ab einer Tagesdosis von mehr als 250 mg abführend wirken. Zudem gibt es NEM, wie zum Beispiel Calcium-Präparate, welche die Aufnahme von bestimmten Medikamenten beziehungsweise von deren Wirkstoffen im Körper verhindern können. Deshalb empfehle ich insbesondere Personen, die bereits Medikamente einnehmen müssen, sich fachkundig zu für sie geeigneten Nahrungsergänzungsmitteln beraten zu lassen und ihre Ärztin oder ihren Apotheker immer auch über die Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln zu informieren.