Diabetes mellitus Typ 1
Synonym: Jugenddiabetes, juveniler Diabetes
Diabetes mellitus Typ 1 (DM Typ 1) ist die zweithäufigste Form der Zuckerkrankheit. Durch die chronische Störung des Zuckerstoffwechsels steigt der Blutzuckerspiegel an. Ursache für DM Typ 1 ist eine Autoimmunreaktion: Statt feindliche, fremde Zellen zu bekämpfen, greift das Immunsystem körpereigene Strukturen an. Es zerstört die Zellen der Bauchspeicheldrüse (Pankreas), die Insulin herstellen – ein Hormon, das den Blutzuckerspiegel steuert. Häufig zeigt sich DM Typ 1 erstmals in der Kindheit oder Jugend. Darum hiess die Krankheit früher auch «Jugenddiabetes» oder «juveniler Diabetes». Doch DM Typ 1 kann auch bei Erwachsenen ausbrechen. Die Symptome erscheinen in der Regel früh im Verlauf und sind deutlich. Betroffene müssen zeitlebens Insulin oder sogenannte Insulinanaloga spritzen, um das Hormon zu ersetzen, das in ihrem Körper fehlt.
Die weitaus häufigste Form der Zuckerkrankheit ist Diabetes mellitus Typ 2 (DM Typ 2). Zudem ist unter Frauen auch Schwangerschaftsdiabetes verbreitet (Diabetes mellitus Typ 4).
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Symptome
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Sind Sie ständig durstig und trinken sehr viel?Müssen Sie ungewöhnlich häufig Wasser lassen?Ist Ihre Haut sehr trocken und juckt manchmal?
Diese Symptome gelten als typisch für DM Typ 1. Sie erscheinen, sobald das Immunsystem rund 80% der Zellen zerstört hat, die Insulin herstellen. Bei jungen Personen vollzieht sich das meist rasch, sodass die Insulinproduktion schnell ausfällt. Entsprechend setzen auch die typischen Symptome oft plötzlich und deutlich ein. Als erstes Krankheitszeichen kann sogar gleich eine Komplikation eintreten (Ketoazidose). DM Typ 1 macht sich mehrheitlich im Kindes-, Jugend- oder jungen Erwachsenenalter bemerkbar, deshalb hiess die Erkrankung früher auch «Jugenddiabetes» oder «juveniler Diabetes». Diese Begriffe gelten als veraltet. DM Typ 1 kann auch erst in höherem Alter ausbrechen. Dann sind die Beschwerden zunächst häufig recht mild, verstärken sich aber bald. Üblicherweise äussert sich DM Typ 1 durch Symptome wie diese:
- Übermässiger Durst (Polydipsie)
- Vermehrtes Wasserlassen (Polyurie)
- Trockene Haut, Juckreiz
- Gewichtsverlust ohne Grund
- Schwäche, Müdigkeit, Abgeschlagenheit, Leistungsschwäche, Schwindel
- Sehstörungen
- Erhöhte Neigung zu Infektionen, schlechte Wundheilung
- Übelkeit, Bauchschmerzen, Erbrechen
- Acetongeruch des Atems (ähnlich dem Geruch von überreifen Früchten, Lack oder Nagellackentferner)
Diabetische Ketoazidose und ketoazidotisches Koma
Eine diabetische Ketoazidose ist nicht selten das erste Zeichen, wenn DM Typ 1 neu erscheint. Zudem treten Ketoazidosen im Verlauf als häufige Komplikationen auf. Sie erscheinen jährlich bei bis zu 5 von 100 Betroffenen. Ursache ist ein starker Anstieg des Blutzuckers (akute Hyperglykämie). Bei DM Typ 1 fehlt Insulin, sodass die Körperzellen keinen Traubenzucker (Glukose) aus dem Blut aufnehmen können. Der Blutzuckerspiegel steigt. Gleichzeitig mangelt es den Zellen an Energie in Form von Zucker. Um einen Ausgleich zu schaffen, stellt sich der Stoffwechsel um. Dadurch gelangen unter anderem viele Substanzen mit einer bestimmten chemischen Form ins Blut – sogenannte Ketonkörper. Sie machen das Blut saurer. Bei einer Übersäuerung des Bluts sprechen Mediziner allgemein von einer Azidose, hier von einer (diabetischen) Ketoazidose. Die Übersäuerung stört weitere Vorgänge im Stoffwechsel. Er gerät völlig in Schieflage bzw. «entgleist». Eine diabetische Ketoazidose kann sich durch Symptome wie folgende zeigen:
- Betroffene atmen zwanghaft häufiger und tiefer (Kussmaul-Atmung). Der Körper versucht, mit der Atemluft mehr Kohlendioxid abzugeben, damit das Blut weniger sauer wird.
- Der Atem riecht nach Aceton, wie auch der Urin.
- Häufig leiden Betroffene unter Übelkeit, starken Bauchschmerzen, Erbrechen.
- Sie haben ein starkes Durstgefühl, scheiden aber so viel Harn aus, dass der Körper reichlich Flüssigkeit verliert. Das kann neue Probleme nach sich ziehen.
- Benommenheit, Teilnahmslosigkeit und Bewusstseinsstörungen bis hin zur Bewusstlosigkeit (ketoazidotisches Koma) können auftreten.
Sofort einen Notarzt rufen!
Patienten mit diabetischer Ketoazidose oder diabetischem Koma müssen unverzüglich im Spital behandelt werden. Die Ereignisse können lebensbedrohlich sein: Zwischen 5 und 10 von 100 Betroffenen sterben infolge eines ketoazidotischen Komas!
Diabetes mellitus Typ 1 mit späterem Beginn
Manchmal setzt sich DM Typ 1 erst im späteren Erwachsenenalter durch, meistens zwischen 25 und 50 Jahren. Dann lässt die Insulinproduktion oft langsam nach. Auch die typischen Symptome erscheinen langsam und sind anfangs vergleichsweise mild. Betroffene sprechen zunächst auf Medikamente (orale Antidiabetika) an und nicht nur allein auf Insulin. Darin ähnelt sich diese Form einem DM Typ 2. Doch die Betroffenen haben genau jene Antikörper im Blut, die kennzeichnend sind für die Autoimmunerkrankung DM Typ 1. Deshalb bezeichnen Fachleute diese ungewöhnliche Form als «spät auftretender autoimmuner Diabetes bei Erwachsenen» oder LADA (late onset autoimmune diabetes in the adult). Die oralen Antidiabetika verlieren hier innert kurzer Zeit ihre Wirkung, Betroffene müssen bald auf Insulin umsteigen – wie alle anderen Typ-1-Diabetiker. Häufig werden LADA und der frühe Typ 2 verwechselt, weil sie sich oberflächlich ähneln. Unterscheidungsmerkmale für LADA können sein:
- Auffällig junges Alter für DM Typ 2, also 50 Jahre oder jünger
- Schlanke Figur, kein Übergewicht beziehungsweise niedriger Body Mass Index (BMI)
- Medikamente zum Einnehmen (Antidiabetika) verlieren schnell an Wirkung.
- Betroffene sprechen gut auf Insulingaben an.
- Patienten haben weitere Autoimmunerkrankungen.
- In der Familie gibt oder gab es weitere Fälle von Autoimmunerkrankungen.
- Ärzte können darüber hinaus im Blut weitere Hinweise finden (z.B. niedriger Insulinspiegel, typische Antikörper).
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Behandlung
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Um DM Typ 1 zu erkennen, genügen meist schon die typischen und üblicherweise starken Symptome. Nachfolgende Messungen des Blutzuckers und anderer Substanzen (z.B. Autoimmunantikörper) sichern die Diagnose der Erkrankung und des Typs ab.
Verschiedene Messungen des Blutzuckers
Im Zusammenhang mit Diabetes mellitus tauchen vier verschiedene Blutzuckerwerte auf. Ihre Masseinheiten (mmol/l oder mg/dl) und die Höhe der Grenzwerte können sich unterscheiden – je nachdem, ob die Blutprobe aus einer Fingerkuppe (kapilläres Blut) oder einer Vene (venöses Blut) stammt.
- Der Nüchternblutzucker (Nüchternglukose, Nüchtern-Plasmaglukose) wird nach einer Nüchternphase von mindestens acht Stunden gemessen. In dieser Zeit dürfen Testpersonen keine Kalorien zu sich nehmen – also weder Nahrung noch süsse oder nährstoffhaltige Getränke. Deshalb findet die Messung fast immer morgens vor dem Frühstück statt.
- Der Gelegenheitsblutzucker (Blutglukose, Gelegenheits-Plasmaglukose) kann zu jedem beliebigen Zeitpunkt am Tag ermittelt werden.
- Für den Wert Zwei-Stunden-Blutzucker (Zwei-Stunden-Glukose, Zwei-Stunden-Plasmaglukose) findet eine Messung zwei Stunden nach der Aufnahme einer genau festgelegten Menge an Traubenzucker statt. Es handelt sich um einen oralen Glukosetoleranztest (oGTT), bei dem die Testperson eine Lösung trinkt, die 75 Gramm Traubenzucker enthält. Danach erfolgen über zwei Stunden meistens mehrere Blutzuckermessungen in bestimmten Zeitabständen. Testpersonen müssen zu Beginn des Tests nüchtern sein, dürfen also acht bis zwölf Stunden davor keine Kalorien zu sich genommen haben.
- Als Durchschnittsblutzucker (Blutzuckergedächtnis, Langzeitblutzucker, verzuckertes Hämoglobin) bezeichnen Ärzte den HbA1c-Wert auch HbA1c. Dahinter steckt eine Form des roten Blutfarbstoffs Hämoglobin (Hb), an die sich ein Zucker angelagert hat. Je höher der Blutzuckerspiegel, desto mehr Hämoglobin wird verzuckert – desto mehr rote Blutkörperchen enthalten verzuckertes Hb, also HbA1c. Da diese Verbindung stabil ist und die roten Blutkörperchen durchschnittlich acht Wochen lang leben, können Ärzte am HbA1c-Wert ablesen, wie viel Zucker während der letzten Wochen im Blut vorhanden war: Der HbA1c-Wert entspricht der durchschnittlichen Blutzuckermenge der letzten acht bis zwölf Wochen. Er wird in der Behandlung meistens zur Einstellung des Blutzuckers verwendet, die Messung kann unabhängig von der Tageszeit stattfinden. Falsche Ergebnisse können etwa durch bestimmte Bluterkrankungen, starke Blutverluste, Bluttransfusionen, Lebererkrankungen (z.B. Zirrhose, Insuffizienz), Nierenschwäche, Eisenmangel und Schwangerschaften zustande kommen. Meistens sind HbA1c-Werte in Prozent angegeben, obwohl die offizielle Einheit Millimol pro Mol (mmol/mol) ist.
Als Grenzwerte für Diabetes gelten folgende Messwerte:
- Nüchternblutzucker: ≥ 7,0 mmol/l (126 mg/dl)
- Gelegenheitsblutzucker: ≥ 11,1 mmol/l (200 mg/dl)
- Zwei-Stunden-Blutzucker (oGTT), kapillär: ≥ 11,1 mmol/l (200 mg/dl)
- Durchschnittsblutzucker (HbA1c): ≥ 6,5% (48 mmol/mol)
Diabetestherapie – Ziele und Medikamente
Die Ziele der Therapie legen Arzt und Patient individuell und gemeinsam fest. Einerseits muss die Behandlung den erhöhten Blutzucker so weit senken, dass sich Beschwerden legen, die Lebensqualität der Patienten steigt, Komplikationen ausbleiben und das Risiko von Folgeerkrankungen auf ein Minimum sinkt. Gleichzeitig gilt es zu verhindern, dass der Blutzucker zu tief absinkt und bedrohliche Unterzuckerungen auftreten. Die Therapie muss somit zu hohe und zu tiefe Werte vermeiden: Der Blutzucker darf nur innerhalb einer gewissen Spanne schwanken. Darum muss auch die Menge an Insulin individuell auf die Menge der Kohlenhydrataufnahme und auf den Verbrauch abgestimmt sein.
In der Regel legen Ärzte den Patienten eine Schulung nahe. Sie klärt umfassend darüber auf, was die Erkrankung negativ beeinflusst, was bei der Therapie zu beachten ist, welche Fehler viele Patienten machen und wie sich der Alltag mit Diabetes möglichst unkompliziert gestalten lässt. Durch Schulungen werden die Patienten selbst zu Experten für ihre Erkrankung. Das vermittelte Wissen und praktische Tipps ermöglichen es ihnen, mehr Verantwortung für die Therapie und die eigene Gesundheit zu übernehmen.
- Orale Antidiabetika kommen bei DM Typ 1 nur in Ausnahmen zum Einsatz, etwa zu Beginn bei LADA. Die Medikamente setzen nämlich voraus, dass der Körper zumindest noch ein bisschen Insulin herstellt. Die meisten Mittel fördern entweder die Insulinproduktion oder verbessern die Wirkung von Insulin. Die Arzneimittelgruppe umfasst zahlreiche Wirkstoffe zur oralen Einnahme aus verschiedenen Substanzfamilien wie den Biguaniden, Sulfonylharnstoffen, Gliniden, Glitazonen, Alpha-Glucosidase-Hemmern und DDP-4-Inhibitoren.
- Insuline und Insulinanaloga sind die Mittel der Wahl bei DM Typ 1. Sie ersetzen das körpereigene Insulin, wenn keines mehr hergestellt werden kann. Die Behandlung erfolgt entweder mit biotechnologisch erzeugtem Humaninsulin (das mit dem natürlichen menschlichen Hormon chemisch identisch ist), Insulin tierischer Herkunft (üblicherweise Schweineinsulin, das in einem Baustein vom menschlichen abweicht) oder Insulinanaloga. Letztere ähneln dem Humaninsulin stark und haben eine vergleichbare Wirkung. Insuline werden nach ihrer Wirkdauer eingeteilt. Kurzwirksame Insuline bzw. Insulinanaloga wirken sofort oder nach wenigen Minuten. Sie erreichen ihre grösste Wirkung in ein bis zwei Stunden, die Wirkdauer beträgt vier bis acht Stunden. In diese Gruppe gehört das chemisch unveränderte Insulin ohne verzögernde Zusätze, auch Normalinsulin oder Altinsulin genannt, da es als erstes Insulin zur Behandlung von Diabetes verwendet wurde. Bei langwirksamen Insulinen bzw. Insulinanaloga tritt die Wirkung langsam ein und verläuft gleichmässig ohne Höhepunkte. Manche Mittel wirken mehr als 40 Stunden. Insulinanaloga erreichen ihre längere Wirkung durch einen leicht veränderten chemischen Aufbau. Zugesetzte Stoffe (z.B. Zink, bestimmte Eiweisse) verzögern bei Insulinen dagegen die Wirkung. Solche Wirkstoffe heissen auch Verzögerungsinsulin, Depotinsulin, Basalinsulin, Basisinsulin, Langzeitinsulin oder Intermediärinsulin. Kombinationen von kurz- und langwirksamen Insulinen werden auch Mischinsulin genannt. Die Insulinpräparate werden fast ausschliesslich in das Unterhautfettgewebe injiziert, meistens am Bauch. Leider ist es unmöglich, Insulin oral einzunehmen, weil die Magensäfte das Hormon zerstören würden. Mit Sprays gelangt zu wenig Insulin ins Blut. In Erprobung sind derzeit Inhalationspulver ebenso wie Bioreaktoren mit Zellen, die Insulin herstellen. Patienten könnten die Bioreaktoren in kleinen Behältnissen als Implantate erhalten. Eine Alternative zu Spritze und Pen sind aktuell Jet-Injektoren, die Insulin mit Druck durch die Haut pressen.
Behandlung von Diabetes mellitus Typ 1
Patienten mit DM Typ 1 müssen ihr Leben lang das Insulin ersetzen, weil es ihrem Körper fehlt. Dafür existieren grundsätzlich zwei Therapiekonzepte. Zusätzlich raten die Fachleute zu einer Patientenschulung, damit Betroffene sämtliche Umstände kennenlernen, die ihre Erkrankung günstig oder ungünstig beeinflussen.
Die meisten Patienten mit DM Typ 1 machen eine intensivierte Insulintherapie. Sie spritzen sich Insulinpräparate mit einem Insulin-Pen oder seltener mit Einwegspritzen. Insulin-Pens sind Injektionswerkzeuge von der Grösse eines dickeren Kugelschreibers. Die Geräte, die bei uns am weitesten verbreitet sind, arbeiten mit austauschbaren Ampullen. Vor der Injektion lässt sich die Präparatmenge einstellen. Pens gelten im Vergleich zu Einwegspritzen als einfacher und unauffälliger in der Anwendung. Zur Grundversorgung spritzen sich Patienten ein- oder mehrmals täglich ein lang wirksames Präparat. Zusätzlich injizieren sie sich kurzwirksame Präparate nach Bedarf, also zu Mahlzeiten oder um erhöhte Zuckerwerte auszugleichen.
Die Insulinpumpentherapie arbeitet ausschliesslich mit Insulinen bzw. Insulinanaloga, die kurz wirken. Eine programmierbare Pumpe führt dem Körper ständig Insulin in der benötigten Menge zu. Bei besonderem Bedarf wie etwa zu Mahlzeiten können die Patienten ihre Dosis über eine kleine Tastatur erhöhen. Dadurch und durch eine genau abgestimmte Programmierung lässt sich die Dosierung feiner und bedarfsgerechter einstellen als mit Spritzen. Übliche Insulinpumpen sind etwa so gross wie Handys. Die Patienten tragen sie dauernd am Körper, können die Geräte zur Not aber zeitweise ablegen. Von der Pumpe gelangt das Insulin über eine Art Schlauch (Katheter) und eine Injektionsnadel in den Körper. Es gibt kleinere Einmalmodelle, die ohne Schlauch auskommen.
Patienten mit DM Typ 1 brauchen keine Diäten zu beachten, also nicht auf Zucker oder bestimmte andere Lebensmittel zu verzichten. Doch sie müssen ihre Insulindosierung an die Kohlenhydrataufnahme anpassen. Auch körperliche Aktivität kann die Erkrankung nicht positiv beeinflussen, stärkt aber die allgemeine Gesundheit. Ausreichende Bewegung und gesunde Ernährung sind deshalb keinesfalls unwichtig. Denn viele Patienten haben ausser DM Typ 1 noch weitere Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, die häufigste Todesursache bei Diabetikern.
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Verlauf, Komplikationen, Besonderheiten
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Diabetes ist nicht heilbar. Unbehandelt verursacht die Erkrankung an vielen Organen schwere Schäden, die nicht rückgängig zu machen sind. Die Gefahr ernster Folgen steigt umso mehr, je höher die Blutzuckerwerte sind und je länger hoher Blutzucker auf Organe einwirken kann. Umgekehrt liegt das Risiko am tiefsten, wenn ein Diabetes sehr früh erkannt wird und der Blutzucker durch die Behandlung immer optimal eingestellt ist. Auch Begleiterkrankungen spielen eine Rolle.
Bei DM Typ 1 findet die Diagnose wegen ausgeprägter Symptome normalerweise frühzeitig statt. In der Regel fällt die Insulinproduktion schnell aus, sodass sich am Auslöser der Beschwerden nichts mehr ändert. Die Behandlung ersetzt das fehlende Insulin. Die Situation hat sich durch die intensivierte Insulintherapie und Selbstkontrolle der Blutzuckerwerte deutlich verbessert, die Patienten können ein weitgehend normales Leben führen. Lebensqualität und Lebenserwartung sind in den letzten Jahrzehnten stark gestiegen, dennoch sterben Betroffene im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung im Durchschnitt rund zwölf Jahre früher. An erster Stelle der Todesursachen stehen Herz-Kreislauf-Erkrankungen (z.B. Nierenversagen, Herzinfarkt), gefolgt von schweren Entgleisungen des Zuckerstoffwechsels (besonders Ketoazidose). Für die verkürzte Lebenserwartung sehen Fachleute mehrere Gründe. Viele Patienten mit DM Typ 1 haben einen schlecht eingestellten Blutzucker: Bei mehr als zwei von drei liegt der HbA1c-Wert über 7,5%. Häufig werden trotz der erhöhten Gefahr für Herz und Kreislauf zusätzliche Risikofaktoren vernachlässigt: Unter Menschen mit DM Typ 1 rauchen genauso viele wie im Bevölkerungsdurchschnitt. Nicht wenige haben einen erhöhten Blutdruck oder erhöhte Blutfette, behandeln sie aber nicht angemessen. Ein weiteres Problem ist das häufig junge Alter der Betroffenen: Gerade jugendliche Patienten neigen dazu, ihre Erkrankung zu verneinen oder ignorieren sie so weit wie möglich – ihr Blutzucker ist daher meist schlecht eingestellt. Ein optimal eingestellter, häufig kontrollierter Blutzucker und Rauchverzicht wirken sich jedoch positiv auf die Lebenserwartung aus. Auch Patientinnen, die Nachwuchs zur Welt bringen, gewinnen im Vergleich zu kinderlosen Lebensjahre dazu.
Komplikationen und Folgeerkrankungen
Als Komplikationen gelten akute, starke Schwankungen bzw. «Entgleisungen» des Zuckerstoffwechsels. Sie treten besonders oft bei Patienten auf, die Insulin spritzen, und sind darum bei DM Typ 1 häufiger als bei DM Typ 2. Bei akutem Überzucker (akute Hyperglykämie) steigen die Zuckerwerte sehr hoch, bei akuter Unterzuckerung (akute Hypoglykämie) fallen sie sehr tief. In beiden Fällen kann der Stoffwechsel entgleisen. Neue Symptome treten auf. Sogar lebensbedrohliche Zustände mit Bewusstseinsverlust und Todesfolge sind möglich. Laut Statistik sterben etwa 15 von 100 Personen mit DM Typ 1 an Folgen von starken Über- oder Unterzuckerungen. Einige Quellen verwenden den Begriff diabetisches Koma nur für derartige Stoffwechselentgleisungen nach Hyperglykämie. Andere zählen auch das hypoglykämische Koma dazu.
Folgeerkrankungen heissen bei Diabetes teilweise auch chronische Komplikationen. Sie treten im weiteren Verlauf stärker in den Vordergrund und halten dauerhaft an. Sehr oft führen langfristig erhöhte Blutzuckerwerte zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Sie sind die häufigste Todesursache bei Personen mit Diabetes. Patienten, die ihren Blutzucker regelmässig kontrollieren und im vorgesehenen Bereich halten, beugen Folgeerkrankungen vor. Auch eine gesunde Ernährung und Bewegung tragen viel dazu bei.
Unterzuckerung
Bei einer akuten Unterzuckerung (Hypoglykämie) fällt der Blutzuckerspiegel stark ab. Es gibt verschiedene Grenzwerte von unter 3,9 mmol/l (70 mg/dl) bis zu unter 2,8 mmol/l (50 mg/dl). Wenn der Körper an niedrigen Blutzucker gewöhnt ist, können tiefe Werte keine oder nur sehr milde Symptome auslösen. Manche Patienten haben auch eine schlechte Wahrnehmung für Unterzuckerungsbeschwerden. Ausserdem können die Anzeichen von Person zu Person sehr unterschiedlich ausfallen. Häufig sind frühe Symptome wie diese:
- Schwitzen, kalter Schweiss, Blässe
- Herzklopfen oder -rasen, Angstgefühle
- Schwäche, weiche Knie, Müdigkeit, Zittrigkeit
- Kribbeln, Taubheitsgefühle an Fingern und Lippen, «pelziger» Mund
- Unruhe, Nervosität
- Heisshunger
Leichte Unterzuckerungen sind unbedenklich. Starke erhöhen vermutlich das Risiko von Herzrhythmusstörungen, plötzlichem Herztod, Demenz und anderen Leiden. Der Energiemangel führt im Gehirn zu Problemen. Typische Symptome dafür sind Kopfschmerzen, Störungen bei Konzentration, Sprache, Sehvermögen und Gleichgewicht. Hält die Unterzuckerung an, kann sich das Verhalten ändern, Koordinationsstörungen und Trübungen oder Verlust des Bewusstseins können erscheinen. Im Extremfall ist ein hypoglykämisches Koma mit Todesfolge möglich. Die Behandlung besteht darin, dem Körper schnell die fehlenden Kohlenhydrate zuzuführen. Üblicherweise genügen ein bis zwei Brot- beziehungsweise Kohlenhydrateinheiten, also etwa drei bis sechs Plättchen Traubenzucker. Alternativ gibt es Gele mit Traubenzucker. Sie lassen sich leichter einnehmen, wenn etwa die Hände zittern. Gut geeignet sind auch zuckerhaltige Getränke wie Cola oder gesüsste Fruchtsäfte. Patienten, die zu Unterzuckerungen neigen, sollten Traubenzucker oder Ähnliches mitführen. Nach einer Hypoglykämie ist es zudem vorteilhaft, wenn sie zusätzlich zu den «schnellen» noch «langsame» Kohlenhydrate (z.B. Schokoriegel, Biskuits) zu sich nehmen, um erneute Unterzuckerungen im Anschluss zu verhindern.
Sofort einen Notarzt rufen!
Eine Unterzuckerung, die zur Bewusstlosigkeit führt, ist ein medizinischer Notfall, der das Leben bedrohen kann! Angehörige sollten für Notfälle geschult sein. Sie und andere Anwesende sollten sofort einen Notarzt verständigen, wenn Patienten nicht mehr ansprechbar sind. Fachleute empfehlen Diabetikern, die zu Unterzuckerungen neigen, immer einen Notfallausweis mitzuführen.
Bei Hypoglykämien mit starker Bewusstseinstrübung oder Bewusstlosigkeit ist es notwendig, einen Notarzt zu rufen, damit er Traubenzucker in eine Vene des Ohnmächtigen spritzt. Wenn das nicht möglich ist oder zu erwarten ist, dass sehr viel Zeit bis zum Eintreffen des Arztes vergeht, besteht die Alternative in einem Notfall- oder Spritzen-Set mit Glukagon. Dann können Angehörige oder andere Anwesende das Hormon Glukagon ins Unterhautfettgewebe der Betroffenen spritzen, auch dadurch steigt der Blutzuckerspiegel. Die Sets sind in Apotheken erhältlich, müssen kühl gelagert werden und halten sich leider nur wenige Monate. Man sollte nicht versuchen, Ohnmächtigen flüssigen oder festen Traubenzucker durch den Mund zu verabreichen. Dieser kann dabei in die Luftröhre gelangen.
Patienten, die zu starken Unterzuckerungen neigen, sollten Vorkehrungen treffen, wenn sie auf Exkursionen gehen oder am Strassenverkehr teilnehmen wollen. Dazu gehört, den Blutzucker vor Antritt zu messen und gegebenenfalls einzustellen, den Blutzucker während der Unternehmungen öfter zu messen und immer Traubenzucker oder dergleichen dabeizuhaben, um niederen Blutzucker rasch auf geeignete Werte zu erhöhen. Häufige Ursachen für Unterzuckerungen sind:
- Überdosierung von Insulin, z.B. weil die Menge an Kohlenhydraten zu hoch eingeschätzt wurde
- Versehentliche Injektion von Insulin in einen Muskel
- Zu wenig Kohlenhydrate, z.B. durch eine ausgelassene Mahlzeit
- Zu hohe Dosierung von oralen Antidiabetika, besonders aus der Gruppe der Sulfonylharnstoffe
- Wechselwirkungen von Medikamenten, z.B. zwischen verschiedenen oralen Antidiabetika oder zwischen Antidiabetika und anderen Mitteln (z.B. nicht-kardioselektive Betablocker wie Propranolol)
- Ungewohnte, starke körperliche Anstrengungen
- Alkoholkonsum
- Durchfall und Erbrechen
- Starke Hitze (z.B. in den Tropen, Sauna)
- Starke Gewichtsabnahme
Überzuckerung
Wenn der Blutzucker stark nach oben ausreisst (Hyperglykämie), schlägt der Stoffwechsel bei DM Typ 1 meistens einen bestimmten Weg ein. Der führt zur diabetischen Ketoazidose (siehe «Symptome»), sie gilt als typisch für DM Typ 1. Nur vergleichsweise selten kommt es zu einer Laktatazidose, hier übersäuert das Blut durch Milchsäure (Laktat), Nierenversagen und lebensgefährliche Schockzustände sind mögliche Folgen. Das Sterberisiko ist grösser als bei einer Ketoazidose; auch weil viele Patienten erst spät ins Spital kommen, denn die Anzeichen sind unspezifisch – sie deuten auf keine bestimmte Erkrankung hin. Übelkeit, Bauchschmerzen, Erbrechen, Unruhe, Müdigkeit und Atemnot gehören zu häufigen Symptomen einer frühen Laktatazidose.
Herz-Kreislauf-Erkrankungen
Die weitaus meisten Todesfälle bei Menschen mit DM Typ 1 ereignen sich wegen Erkrankungen von Herz und Blutgefässen, das Risiko liegt mehrfach über dem der Allgemeinbevölkerung. Zu den häufigsten chronischen Komplikationen oder Todesursachen zählen verengte Herzkranzgefässe (koronare Herzkrankheit, Angina pectoris), Herzinfarkte, Schlaganfälle, Nierenschwäche und Nierenversagen. Deshalb sollten Typ-1-Diabetiker nicht nur regelmässig ihren Blutzucker kontrollieren, sondern beispielsweise auch Blutdruck und Nierenwerte prüfen lassen. Ein gesunder Lebensstil wirkt sich hier zwar nicht erheblich auf den Blutzucker aus, senkt aber das Risiko von Herz- und Kreislauferkrankungen.
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Ursachen, Risikofaktoren und Häufigkeit
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Bei DM Typ 1 zerstört eine Autoimmunreaktion die Zellen der Bauchspeicheldrüse, die Insulin herstellen. Von einer Autoimmunreaktion spricht man, wenn sich Antikörper des Immunsystems nicht gegen fremde Substanzen richten, sondern gegen solche aus dem eigenen Körper. Warum das Immunsystem diesen Fehler bei DM Typ 1 macht, ist nur ansatzweise bekannt. Fachleute wissen, dass mehrere Gene eine Rolle spielen. Kinder von Eltern mit DM Typ 1 haben ein höheres Risiko als der Durchschnitt, ebenfalls daran zu erkranken. Allerdings ist der Zusammenhang mit der Vererbung schwächer als bei DM Typ 2, wahrscheinlich haben auch weitere Faktoren einen Einfluss. Welche genau, ist unsicher. Zu den möglichen Kandidaten zählen die Experten etwa manche Viruserkrankungen, bestimmte Nahrungsmittel in der Kindheit, Giftstoffe und eine zu kurze Stillzeit.
Risikofaktoren
Gene, Ernährung im Säuglingsalter und Infektionen beeinflussen das Erkrankungsrisiko. Wie viel Einfluss sie haben, ist bei einzelnen Nahrungsmitteln und Viruserkrankungen aber noch unsicher.
- Genetische Veranlagung: Es sind etwa 20 Gene bekannt, die für Typ 1 eine Rolle spielen. Kinder von Vätern mit DM Typ 1 haben ein höheres Risiko als solche von betroffenen Müttern. Der Einfluss der Gene ist nicht so stark wie bei DM Typ 2.
- Infektionen: Atemwegserkrankungen im Säuglingsalter, Infektionen mit Viren (z.B. durch Coxsackie-B-, Mumps-, Masern- und Rötelnviren) stehen im Verdacht, die Entstehung von DM Typ 1 zu unterstützen.
- Ernährung: Es gibt vorläufige Hinweise darauf, dass bestimmte Lebensmittel und Mangelzustände die Entwicklung von DM Typ 1 begünstigen. Dazu gehören Vitamin-D-Mangel, glutenhaltige Getreide im Säuglingsalter und Kuhmilch in den ersten drei Lebensmonaten bei zu kurzer Stillzeit. Möglicherweise beeinflussen auch manche chemische Substanzen (z.B. Giftstoffe aus fauligen Stellen an Wurzelgemüse wie Kartoffeln und Karotten, Nitrosamine) das Erkrankungsrisiko.
- Darmflora, Hygiene, Kaiserschnitt: Zuletzt haben Studien darauf hingedeutet, dass eine Darmflora, die viele Bakterienarten enthält, das Risiko von Immunerkrankungen wie DM Typ 1 senkt. Übertriebene Hygiene und Kaiserschnittgeburten verringern den Artenreichtum im Darm wie auch Therapien mit Antibiotika.
Häufigkeit
Die Schweizerische Diabetes-Gesellschaft schätzt, dass bei uns rund 40’000 Personen von DM Typ 1 betroffen sind. Mehr als 9 von 10 der 500’000 Diabetiker in der Schweiz haben also den häufigeren DM Typ 2. Beide Formen sind auf dem Vormarsch, die Fallzahlen nehmen seit Jahrzehnten zu.
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Vorbeugung
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Während der Lebensstil starken Einfluss auf die Entstehung von DM Typ 2 hat, spielt er bei Typ 1 nach dem aktuellen Wissensstand eine geringere Rolle. Die oben genannten Risikofaktoren lassen sich dennoch zum Teil abschwächen. Fachleute haben Empfehlungen zur Verbeugung, sie richten sich hauptsächlich an Eltern, deren Kinder familiär vorbelastet sind. Sie sollten bei den Kleinen Infektionen vermeiden, so weit das in vernünftigem Rahmen möglich ist. Babys etwa völlig zu isolieren, um ihnen Erkältungen zu ersparen, steht in keinem Verhältnis zur möglichen Verringerung des Risikos. Ausserdem sollten Säuglinge und Kleinkinder ja nicht in einer keimarmen Umgebung aufwachsen, sondern Kontakt zu allen üblichen Umweltkeimen haben. Übertriebene Hygiene ist zu vermeiden. Nach einer Behandlung mit Antibiotika besteht die Möglichkeit, sich zu Aufbaupräparaten für die Darmflora (z.B. Probiotika, Präbiotika) beraten zu lassen. Die meisten Hinweise zum Einfluss der Ernährung sind nur schwach. Hier raten Fachleute, Getreide in den ersten sechs Monaten aus Säuglingsspeisen fernzuhalten, mindestens vier bis sechs Monate zu stillen und Vitamin-D-Mangel zu vermeiden. Angefaultes Gemüse sollten Babys ebenfalls nicht zu essen bekommen.
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Wirkstoffe